Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Armee Bonapartes bei Lausanne.
Ein paar Kavallerieoffiziere drängen ihre Pferde zusammen und lachen, daß die Federbüsche auf ihren Tschakos wackeln. Ein possierlicher Anblick: da hockt auf einer widerspenstigen Mähre, wie ein Affe ungeschickt angekrallt, ein kurzbeiniger dicker Junge, halb Zivil, halb Militär, und rauft mit dem bockigen Vieh, das den Sonntagsreiter durchaus den Boden küssen lassen will. Sein riesiger Pallasch, schief um den Bauch gebunden, schlenkert immer gegen die Kruppe und kitzelt das arme Roß, bis es schließlich steigt und in höchst unbeabsichtigtem Galopp den tristen Kavalleristen quer über Äcker und Gräben schüttelt.
Die Offiziere amüsieren sich königlich. »Reit hin«, kommandiert endlich mitleidig der Kapitän Burelvillers seinem Burschen, »und hilf diesem Demian!« Der Bursche galoppiert scharf nach, karbatscht der fremden Mähre ein paar Saftige über, bis sie stille steht, dann packt er die Zügel und schleppt den Neuling heran, das Gesicht krebsrot von Zorn und Scham. »Was wollen Sie von mir?« fragt er erregt den Kapitän: der ewige Phantast träumt schon von Arretierung oder Duell. Aber der spaßmütige Kapitän wird sofort, als er hört, daß es sich da um einen Vetter des allmächtigen Daru handelt, sehr höflich, bietet ihm seine Gesellschaft an und fragt den zweifelhaften Rekruten, wo er bisher sich umgetrieben. Henri errötet: diesen Banausen kann man doch nicht eingestehen, daß man in Genf tränenden Auges vor dem Haus gestanden, in dem Jean-Jacques Rousseau geboren wurde. So tut er forsch und frech, spielt den Kühnen in einer so ungeschickten Weise, daß er ihnen allen gefällt. Die Offiziere lehren ihn zunächst kameradschaftlich die hohe Kunst, beim Reiten die Zügel richtig zwischen zweiten und dritten Finger zu fassen, den Säbel gerade umzuschnallen, und sonst noch ein paar Geheimnisse des Kommiß. Und sofort fühlt sich Henri Beyle als Soldat und Held.
Er fühlt sich als Held oder zumindest, er erlaubt nicht, daß jemand anderer an seiner Courage zweifelt. Er wird sich lieber die Zunge abbeißen, als eine ungeschickte Frage tun oder einen Seufzer Angst aus den Lippen lassen. Nach dem weltberühmten Übergang über den St. Bernhard wendet er sich lässig im Sattel und fragt den Kapitän beinahe verächtlich seine ewige Frage: »War das alles?« Wie er bei Fort Bard ein paar Kanonen brummen hört, tut er abermals erstaunt: »Ist das der Krieg, nichts als das?« Immerhin, er hat Pulver gerochen, eine Art Jungfräulichkeit vor dem Leben ist nun verloren, ungeduldiger spornt er das Pferd, rasch hinab nach Italien, nun die andere noch verlieren, und über die kurzfristigen Abenteuer des Kriegs den unendlichen des Eros entgegen.
1801, Mailand. Korso an der Porta Orientale.
Der Krieg hat die Piemonteser Frauen aufgeweckt aus ihrer Gefangenschaft. Seit die Franzosen im Lande sind, fahren sie täglich in ihren niederen Karossen die blitzenden Straßen unter dem blauen Himmel entlang, lassen anhalten, plaudern mit ihren Liebhabern oder ihren Cicisbeos, lächeln den jungen frechen Offizieren nicht ungern in die Augen und spielen mit Fächern und Blumen deutsames Spiel.
In den schmalen Schatten gedrückt, sieht sehnsüchtig ein siebzehnjähriger Unteroffizier zu den eleganten Frauen hinüber. Ja, Henri Beyle ist plötzlich sous-off bei den Sechserdragonern geworden, ohne eine einzige Bataille mitgemacht zu haben; als Cousin des allmächtigen Daru erreicht man ja allerhand. Uber der Stirn weht und wedelt vom blanken Metall der schwarze Roßhaarschweif der französischen Dragoner, hinter seinem weißen Kavalleriemantel klirrt schreckhaft mächtig der große Säbel, an den Stulpen seiner Stiefel klingeln die Sporen: wahrhaftig, er sieht martialisch aus, der kleine dicke, feiste Junge von vorgestern.
Eigentlich sollte er, statt hier am Korso herumzuschlendern und täglich das Pflaster mit dem Pallasch abzuklappern und die Frauen sehnsüchtig anzuschauen, bei seiner Kompagnie stecken und die Österreicher hinter den Mincio jagen helfen. Aber schon der Siebzehnjährige liebt das Vulgäre nicht, er hat bereits entdeckt, daß »höchst wenig Geist dazu nötig ist, um einen Säbelhieb zu dreschen«. Wenn man der Cousin des großen Daru ist, bleibt man lieber, statt groben Kommißdienst abzuschnurren, in der blitzblanken Etappe Mailand, denn im Biwak gibt es keine so schönen Frauen zu beschwören und vor allem keine Scala, die göttliche Scala mit ihren Opern
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