Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Gefühle und seiner Unterwelt. Denn wer nur einmal gegen sich aufrichtig gewesen, war es immer. Wer sein eigenes Geheimnis erraten, der hat es für alle erkannt.

Bildnis
    Tu es laid, mais tu as de la physiognomie.
    Der Onkel Gagnon zu dem jungen Henri Beyle
     
    D ämmerung in der kleinen Mansarde der Rue Richelieu. Zwei Wachskerzen brennen auf dem Schreibtisch, seit Mittag schreibt Stendhal an seinem Roman. Jetzt wirft er die Feder mit einem Ruck weg: genug für heute! Nun sich auffrischen, ausgehen, gut speisen, in Gesellschaft, an heiterem Gespräch, an Frauen sich beleben!
    Er macht sich bereit, fährt in den Rock, rückt das Toupet zurecht: jetzt noch rasch einen Blick in den Spiegel! Er sieht sich an, und sofort schneidet eine sardonische Falte die Mundwinkel schief: nein, er gefällt sich nicht. Welch ein unfeines, grobes Bulldoggengesicht, rundlich, rot, feistbürgerlich, ach, wie widerlich dick und knollig lagert die breitgenüsterte Nase quer inmitten dieser Provinzvisage! Zwar die Augen, sie wären so übel nicht, klein, schwarz, funkelnd, voll unruhigen Neugierlichts, aber sie sitzen zu tief und zu klein unter den dicken Brauen der schweren, quadratischen Stirn: als le Chinois, den Chineser, haben sie ihn um ihretwillen seinerzeit im Regiment schon verspottet. Was ist noch gut in diesem Gesicht? Stendhal blickt sich ingrimmig an. Nichts ist gut, nichts zart, geistlinig lebendig, alles schwer und vulgär, bitterböseste Bourgeoisie, und dabei der kugelige, in braunem Bart gerahmte Kopf vielleicht noch das Beste an diesem unbequemen Korpus; denn gleich kinnabwärts kröpft sich, zu knapp geraten, der Hals, und tiefer hinab wagt er lieber gar nicht zu schauen, denn er haßt seinen dummen bombastischen Wanst und die zu kurz gestreckten unschönen Beine, die derart mühsam diese ganze schwere Masse Henri Beyle tragen, daß ihn die Schulkameraden immer den »wandelnden Turm« nannten. Noch immer sucht Stendhal im Spiegel nach irgendeinem Trost. Die Hände allenfalls, ja, die können gelten, frauenhaft zart, sehr geschmeidig mit den spitzen, glattpolierten Fingernägeln, aus ihnen spricht noch ein wenig Geist und Adel, und auch die Haut, die mädchenempfindliche und linde, sie verriete zärtliche Gesinnung, ein wenig Noblesse und Feingefühl. Aber wer sieht, wer bemerkt an einem Manne solche feminine Kleinigkeiten? Frauen fragen immer nur nach Gesicht und Figur, und die sind, er weiß es fünfzig Jahre schon, unrettbar plebejisch. Einen Tapeziererkopf hat Augustin Filon seine Visage genannt und Monselet ihn als »Diplomaten mit einem Drogistengesicht« gekennzeichnet; aber selbst solche Begutachtung scheint ihm zu freundschaftlich, denn Stendhal urteilt jetzt selbst, verdrossen in das unbarmherzige Spiegelglas starrend: »Macellaio italiano«: Gesicht eines italienischen Fleischhackers.
    Aber wäre er wenigstens, dieser fettleibige massive Körper, brutal und maskulin! – Es gibt ja Frauen, die zu breiten Schultern Zutrauen haben und denen ein Kosak in mancher Stunde besser dient als ein Dandy. Doch niederträchtigerweise, er weiß es, ist diese derbe, bäurische Figur, diese Rotfülligkeit des Bluts bei ihm nur Attrappe, eine Falschmeldung des Fleisches. Unter diesem Koloß Mann flimmert und vibriert ein Nervenbündel subtilster, ja fast krankhafter Empfindlichkeit, als ein »monstre de sensibilité« haben ihn alle Ärzte bestaunt. Und eine solche Schmetterlingspsyche – Verhängnis! –, eingenäht in soviel Fülle und Fett: irgendein Nachtmahr muß in der Wiege Leib und Seele vertauscht haben, denn wie friert und zittert bei jeder Erregung die krankhaft überempfindliche Psyche unter ihrer grobschlächtigen Hülle. Ein offenes Fenster im Nebenraum, und schon rieseln scharfe Schauer über die feindurchäderte Haut, eine zufallende Tür, und sofort zucken die Nerven in wildem Riß, ein schlechter Geruch, und ihm wird schwindlig, die Nähe einer Frau, und er wird verworren, ängstlich oder aus Verkehrtangst grob und unanständig. Unverständlich diese Mischung! Wozu soviel Fleisch, soviel Fett, soviel Wanst, soviel plumpes fuhrmännisches Knochenwerk um ein so spinnfeines und verletzliches Gefühl, wozu ein dermaßen dumpfer, uninteressanter, klotziger Leib um eine so komplizierte und reizbare Seele?
    Stendhal wendet sich vom Spiegel ab. Dies Exterieur ist unrettbar, er weiß es seit seiner Jugend. Da kann selbst ein solcher Zauberkünstler von Schneider nicht helfen, der ihm ein Mieder unter die Weste

Weitere Kostenlose Bücher