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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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dichterischen (aber nie erdichteten) Darstellung Rollands die schönste Kriegsgeschichte unserer Zeit geworden, ein lebendiges Beispiel, der europäischen Zivilisation entgegengeschleudert, wie man auch ohne den mörderischen Kriegsapparat von Kanonen, verlogenen Zeitungen und bestialisch gesinnten Zwischentreibern einzig durch moralische Mittel eine Revolution praktisch verwirklichen könne. Zum erstenmal hat sich mit Rolland ein Repräsentant unserer Kultur vor einer Idee Asiens, vor einem unbekannten fremden Führer wie vor einem Überlegenen gebeugt. Und diese Geste war eine historische Tat.
    Darum ist von allen heroischen Biographien diese späteste und letzte Rollands in ihrer Wirkung die entscheidendste gewesen. Geben die andern nur ein Beispiel für den einzelnen, für den Künstler, so gilt die Tat Gandhis vorbildlich für Nationen und Zivilisationen. Im Johann Christof hatte Rolland nur die notwendige Einheit Europas gefordert, sein »Gandhi« aber deutet noch weiter hinaus über die Sphäre des Abendlandes und zeigt statt trüber Theorien von Volksverständigung, daß immer nur ein Genius und ein Gläubiger Geschichte formt.
    Auf seiner höchsten Stufe wird der Geist immer zu Religion, in seiner vollsten Form der Mensch immer zum Helden: als stärkstes Beispiel dieser noch nicht erloschenen Fähigkeit unserer Menschheit ruft Rolland aus dem Schatten des Orients einen Zeugen unserer Menschheit zum Trost. Und so wird Gegenwart zum Gedicht und eine heroische Legende uns zur Wirklichkeit.
    Unvermutet war derart an eine alte, längst unterbrochene Reihe, an die »Heroischen Biographien« angeknüpft worden. Und unvermutet und gleichfalls mit dem vollen Auftrieb gesteigerter Kraft nimmt von dieser Höhe des Ausblicks Rolland seinen alten Plan des »Dramas der Revolution« wieder auf, jene Dekalogie des »Théâtre de la révolution« , die der Jüngling glühend begonnen, der Mann, enttäuscht von der Gleichgültigkeit der Zeit, entmutigt unterbrochen hatte.
    Den eigentlichen Anstoß gab auch hier die Zeit. Zwanzig Jahre lang waren die Revolutionsdramen Rollands gleichsam verschüttet gewesen. Die französische Bühne kannte sie nicht. Einige auswärtige Bühnen versuchten sich an einzelnen, teils aus dem literarischen Ehrgeiz, den Dichter des Johann Christof dramatisch zur Szene zu führen, teils weil »Danton« dem Regisseur unerwartete Möglichkeiten bot. Aber das Wesentliche ihrer Problematik mußte einer Friedenszeit unverständlich bleiben. Moralische Auseinandersetzungen wie jene der »Wölfe«, was höher stehe, die Wahrheit oder das Vaterland, Diskussionen auf Tod und Leben wie jene des Danton mit Robespierre hatten keine Anwendung, keine Applikation auf die rein wirtschaftlich und artistisch bewegte Welt von 1913. Ihr waren sie historische Stücke, dialektische Gedankenspiele und blieben es so lange, bis ihre Zeit, ihre eigene Wirklichkeit kam und sie zur brennendsten Aktualität machte, ja sogar ein Prophetisches in ihren Formen entschleierte. Es mußte nur der Augenblick kommen, um die moralischen Probleme zwischen dem Einzelnen und der Nation neuerdings in Widerstreit zu bringen, und jedes Wort, jede Gestalt dieser Dramen war beziehungsvoll: hätten sie nicht längst gedruckt vorgelegen, so hätte man sie für Paraphrasen einer Wirklichkeit genommen, als Stichworte von Reden, die damals auf allen Straßen und Plätzen gingen, in Moskau und Wien und Berlin, überall wo die Revolte in Gärung kam. Denn wenn auch immer anderen Zielen zurollend und äußerlich in anderen Formen sich gewandend, so nehmen doch alle Revolutionen, alle Umwälzungen den gleichen Gang. Sie grollen langsam empor, reißen die Menschen, die sie zu führen glauben, durch die Vehemenz der Masse über sich selbst hinaus, schaffen Widerstreit zwischen der reinen Idee und der profanen Wirklichkeit. Immer aber ist der Urrhythmus der gleiche, weil er ein allmenschlicher ist und ein kosmischer beinahe mit dem dumpfen Groll, dem Aufstoß der Zerstörung und dem endlichen Einsturz der zu wild aufgeschossenen Flamme.
    Dieserart die Wirkung der verschollenen Stücke erneuernd, wirkten aber die zeitgenössischen Ereignisse gleichzeitig auch auflockernd auf den ganzen schon als Torso vergrabenen Plan. In einer früheren Vorrede hatte Rolland die Revolution einem Elementarereignis, einem Sturm, einem Gewitter verglichen. Nun hatte er unvermuteterweise ein solches Gewitter selbst im Osten sich zusammenballen und mit elementarischer Wucht bis in

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