Stefan Zweig - Gesammelte Werke
der Dichter dankbar aus dem tiefen, wohlgepflegten Grün glänzen, nicht wie jener kleine »giardino Giusti« in Verona, wo schwarze Zypressen riesenhaft wie finstere Gedanken den Sinn umfassen, nicht wie jener helle kleine Garten der Päpste hoch auf der Burg in Avignon, wo wilde Schwäne auf einem blauen Teich zittern und unvergeßlicher Ausblick ins provençalische Land einen erwartet. Er schenkt keine Erinnerung, wie jener wunderbare Ulmengang, der zur Alhambra führt, nicht die exotischen Träume, wie in den königlichen Gärten in Sevilla, und nicht wie Schönbrunn an einem sonnigen Septembertag, wenn es goldenes Laub über die Wege schüttet und irgendwie an eine leise Heiterkeit des Lebens noch im Sterben mahnt. Nein – Hydepark lockt nicht zu Träumen, er lockt zum Leben, zu Sport, Eleganz, freier Bewegung. Wäre er nur zu diesen sanften, hindämmernden Träumen und nicht auch nützlich, längst hätte man ihn hierzulande mit Häusern bespickt, mit Bahnen durchschnürt, mit Lärm durchschüttert. Hier liebt man nur Träume, die bald Wirklichkeit werden. Und Englands wahrer Traum heißt nicht Hydepark, sondern immer noch Italien.
Herbstwinter in Meran
1919
O ktoberwende hat längst die letzten Trauben von den Reben gelöst, aber noch glühen die Weingärten in einem sanften und doch feurigen Licht. Blatt an Blatt leuchtet blank und messingfarben und immer, wenn eine sanfte Brise die zitternden umlegt, meint man, sie klingen zu hören wie feine metallene Scheiben. Dunkler sieht der Herbst ins Land. Die Berge haben schon Schnee auf dem Scheitel, doch ihre Brust liegt noch frei und grün und leuchtend umschnürt ihre tiefe Hüfte der farbige Gurt der Weinberge. Ganz weit scheint der Winter noch. Nur die Höhen, die weiter in die Ferne schauen, scheinen ihn bereits erspäht zu haben, das Tal freut sich tief der Sonne und wird nur feuriger in den herbstlichen Farben. Wie brennende Büschel flackern einzelne Bäume rote Warnung ins Land, rostfarben leuchten die Stämme und das heitere Gelb der welken Blätter mengt sich fröhlich ins dunkle Grün der Matten. Unwandelbar aber schließt oben der blaue Himmel mit einem weiten, voll ausgespannten Klang den bunten Reigen der Farben. Es ist ein Herbst ohne Ende, ein Herbst ohne Bitterkeit, der hier langsam Winter wird und – man fühlt es schon – ein milder geruhiger Winter, ohne Härte und Harm.
Es ist mir nicht neu, das vielfältige Farbenspiel dieser Landschaft. Oft habe ich sie schon so gesehen im Zauber des Übergangs, immer beglückt und immer neu begeistert. Aber immer nur wie etwa ein Maler es sehen mag, froh der Reinheit der Luft und der seligen Klarheit der Farben und fraglos hingegeben im sanften Genießen. Doch heute lüstet es mich, die Schönheit nach ihrem Sinn zu fragen, denn es gibt Stunden, da der Genuß eine Rechenschaft fordert und selbst die Beglückung noch ihren Sinn. Ich sehe in ihre heiteren Züge hinein und frage das eigene Herz, noch heiß in Entzücken, warum gerade ihr diese seltsame Macht gegeben ist, so reine Beruhigung in mir auszubreiten und von ihrer sanften Heiterkeit einen Widerschein in mich zu streuen. Ich weiß gewaltigere, gekrönt mit den heroischen Insignien großer Vergangenheit, Landschaften, die das Meer zu ihren Füßen haben, das unendliche, oder einen See, ständig das Bild ihrer Anmut zu spiegeln, Landschaften, die wie urweltliche versteinerte Gedanken sind, Tragödien aus Fels und Wald. Ich sehe sie an, suchend, an hundert Stellen ihre Schönheit zu fassen und nichts Einzelnes gibt Antwort. Denn nichts in ihr ist eigentlich sonderbar oder einzigartig, nichts reißt herrisch den Blick an sich, freundlich läßt ihn eine Linie in die andere fließen. Und diese Harmonie des Übergangs ist ihre Magie. Denn alle Elemente der Schönheit sind nicht nur verteilt im Meraner Tal, sondern auch vereint. Sie hat Größe und Gewalt, diese Landschaft am Fuße der nordischen Alpen, aber eine, die nicht drückt und beschwert: schieben sich die Berge in ihrem Rücken wie zornige Falten auf der Stirn eines Giganten drohend zusammen, scheint von allen Seiten Begrenzung dem Blick zu drohen, nach Süden tut sich die verschlossene Landschaft unendlich auf, ein sonniges Tal führt den Blick, den befreiten, heiter fruchtbare Felder ins Ferne entlang. Sie ist großartig, diese Landschaft, und doch nicht streng, ihre Nähe schön und ihre Ferne erhaben. Ihr felsiger Bau beängstigt nicht wie etwa eine verschlossene Gebirgslandschaft, deren
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