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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ersten Blick. Es ist nicht englische Art, sich dem Fremden vorschnell zu vertrauen, nicht die Art der Menschen, nicht die der Landschaft. Hat man sich ihr erst mit Liebe genähert, so sieht man, wie viel heimliche Eigenart in der eintönigen Armut der Heide ist. Die Gräser haben hier einen ganz unvergleichlich weichen, vorfrühlingshaften Farbton, die Blätter, die sich nur schmal entfalten, ein helles und wie von Silber durchwirktes Leuchten. Und dann ist ja diese Landschaft unter die Mattscheibe des englischen Himmels gestellt, der alle Lichtwerte linder tönt und mit seinem ewigen Schleierspiele alle Heimlichkeiten des clair-obscur entfaltet. Der Äther ist hier ein kühles, fast bleiernes Blau, sofern nicht Wolken es überjagen, Sonnenschein, nicht wie in Italien ein weißglühendes Lichtbündel, das so grell auf die Steine brennt, daß sie erschreckt und geblendet die Glut zurückwerfen, sondern nur ein flauer, fließender Schimmer, den rasch das Schmetterlingsnetz einer fliegenden Wolke fängt. Und Schatten, das ist nicht Kühle, schwarzes Versteck, scharfe Kontur, sondern ein graues Gerinnsel hin über das Gras. Bildhaft gesprochen hat der Hydepark in seinen hellen Stunden die vorsichtig zarten Farben der Präraffaeliten, um dann mit der Neige des Abends in die mystischen Dämpfe Carrières zu tauchen. Und seltsam färbt hier auch die Luft, die Klang, Licht, Kolorit und den tastenden Blick gleich unwillig trägt, diese schwere, vom Salz des Meeres satte, vom Nebel gegilbte, vom Rauch zahlloser Schornsteine grau getönte Londoner Atmosphäre. Sie verschleiert die Formen, macht sie rund und trüb, die Ferne läßt sie unsicher werden und vorzeitig biegt sie den nahen Himmel in die verschattenden Konturen des Horizontes hinab. Zwischen den Bäumen läßt sie am Mittag einen feinen blauen Nebel geistern wie den kräuselnden Rauch von Zigaretten; und abends dunkelt aschgrauer Dunst alles zusammen, Nibelheim öffnet sein finsteres Tor. Eine graue Wolke liegt dann über Stadt und Heide, die lange Wochen die Menschen vergessen läßt, daß am Himmelsbogen ein ewiger Reigen zitternder Sterne glänzt. Aber dafür zeichnet sie tagsüber wunderbare Rauchbilder an des Blickes Rand; Fabriken und Zinshäuser locken in diesem grauzitternden Schattenriß verklärt wie die sagenhaften Schlösser des heiligen Gral, alle Nuancen des Halbdunkels mildern die herben und unschönen Formen der Wirklichkeit.
    Aber all dies machte diesen Park der Liebe noch nicht wert. Denn diese Schönheit ist nur die aller Dinge, die frei und rein unter dem Himmel liegen und gewissermaßen näher dessen geheimen Quellen, aus denen Licht und Schatten, das Gold der Sonne und der Qualm des Nebels strömen. Das ist nur die Schönheit eines Stückes englischen Heidelandes. Aber eben: der Hydepark ist Heideland inmitten der Stadt, er ist nicht so sehr selbst ein Schauspiel, sondern teils Bühne, darauf sich ein eigenartiges Leben abrollt, teils das Parkett der ruhigen Betrachter. Seine eigentlichste Schönheit ist die der Menschen, die ihn beleben, dieser wunderbaren Rasse, die sich nicht schon in der leichten Anmut der Grazie, sondern erst in der kraftvollen Erregung, in Sport und Spiel ganz gibt. Und so wie man die Engländer nicht im Gespräch schon liebt, sondern erst im Verkehr, so liebt man ihre Schönheit nicht im leichten Gang, sondern in alledem, was sich hier entfaltet, im Lauf, im Sprung, im Sattel, im Boot, im Bad, im Spiel, in ihrer wunderbaren, wohltemperierten Kraft. Und der Hydepark hat ihr ganzes Leben, soweit es sich nicht innerhalb der vier Wände abspielt. Denn die Straße ist in London ganz vom Geschäft beschlagnahmt, sie hat nicht Raum für die Schaustellungen der Flaneurs, für die abenteuernde Faulenzerei der gelassenen Selbstgefälligkeit. Darum flüchtet alles, was Genuß im Anblick oder in der Bewegung selbst begehrt, in den Park, der, seine grünen Arme unendlich ausgebreitet, alle aufnimmt. So strömt Abwechslung in seine träumerische Ruhe, und doch ist wieder Gleichtakt in diesen Schauspielen: er hat sie regelmäßig wie Geschäftsstunden von Tag zu Tag, als wären sie sein »business«, seine Beschäftigung.
    Früh beginnt dieses Leben. Ganz früh. Oft schweben noch Dunstwolken über den Himmel und die Bäume sind wie mit Watte geflockt. Da sausen ein paar Bicycles zum Teich hin, der glatt und unbewegt zu warten scheint, und Burschen, Arbeiter, Schuljungen sammeln sich am Ufer. Flink sind die Kleider abgestreift und in den

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