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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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weitreichend und welterschütternd wirkte, keine Stahlplatte, keinen Eisenzement hat sie gehämmert, der an Beständigkeit diese kleinen Bündel bedruckten Papiers überdauerte. Noch hat keine elektrische Lichtquelle solche Erleuchtung geschaffen, wie sie von manchem dünnen Bändchen ausgeht, noch immer ist kein künstlicher Kraftstrom jenem vergleichbar, der die Seele bei der Berührung mit dem gedruckten Wort erfüllt. Alterslos und unzerstörbar, unveränderlich in den Zeiten, komprimierteste Kraft in winzigster und wandelhaftester Form, hat das Buch nichts von der Technik zu fürchten, denn sie selbst, wie anders erlernt und verbessert sie sich denn aus Büchern? Überall, nicht nur in unserem eigenen Leben, ist das Buch Alpha und Omega alles Wissens und jeder Wissenschaft Anfang. Und je inniger man mit Büchern lebt, desto tiefer erlebt man die Gesamtheit des Lebens, denn wunderbar vervielfacht, nicht nur mit dem eigenen Auge, sondern mit dem Seelenblick Unzähliger sieht und durchdringt dank ihrer herrlichen Hilfe der Liebende die Welt.

Rückkehr zum Märchen
    I n diesem wetterwendischen Sommer bei Freunden am Lande zu Gast, war mir’s geschehen, daß ich, von einem ersten trügerischen Blick sonnigen Himmels verlockt, weit in die reifenden Felder hinausgewandert war, als plötzlich vom Rücken her eine schwarzschattende Wolke mich überrannte. Dunkel stand mit einemmal über den eben noch hellgoldenen Saaten und schon, noch ehe ich Unbewehrter mich flüchten konnte, prasselte rachsüchtig der Regen auf mich nieder. Auf einem nahen Hügel barg sich ein Haus, rasch lief ich empor und bat um Unterstand, bis das Unwetter vorüber sei. Eine Frau, kaum aufschauend vom emsigen Werk, ersparte mir’s, im nackten Flur zu stehen, wies mir ein Zimmer zum Warten, das sonst wohl hell sein mochte, nun aber vom Regen verschattet war, und ging wieder ans Werk. So blieb ich allein im schweigenden Raum und suchte aus Gerät und Liegenschaft Stand und Art der Insassen zu erraten. Kindern mochte diese Stube sonst wohl zugewiesen sein, das merkte ich bald, denn auf dem Polster kniete ein zerbrochener Polichinell und glotzte mich groß aus verdrehtem Glasauge an. Atlanten blickten blau und bunt von den Wänden, und auf dem Tisch lag aufgeschlagen neben einer zerlesenen Fibel ein Kinderbuch mit kolorierten Blättern. Mechanisch griff ich danach, aus jener Neugier nach Büchern, die mir nun schon verhängnisvoll tief im Blut sitzt und fast unbewußt nach Gedrucktem langt. Ein alter kleiner Schmöker war’s, abgegriffen und überjahrt, dessen zierliche Kupfer die Kinder mit grellen Farben nachgepinselt hatten, die aber zu betrachten mich’s verlockte, und ich nahm’s zur Hand. ›Gullivers seltsame Reisen‹ hieß es, ein Buch, das ich mich deutlich besann, als Kind gelesen zu haben und seitdem nicht mehr. Aber nun, da ich die Kupfer beschaute, den einen zuerst, da Gulliver, ein Riese, breitbeinig dasteht und die ganze Armee von Liliput mit Kanonen und fliegenden Fahnen zwischen seinen gespreizten Beinen durchmarschiert, und dann jenen andern, da er wieder winzig wie eine Maus zwischen den gigantischen Ähren von Brobdignac sitzt und die ungeschlachten Schnitter seine Putzigkeit staunend entdecken – da wurde jäh etwas Vergangenes mir innen wach, eine frühe Erinnerung oder zumindest die Neugier nach ihr. Und um sie zu fassen, blätterte ich die erste Seite auf und begann zu lesen, in fremder Stube, in fremdem Buch.
    Und ich las noch immer, als die Tür aufging und die Frau eintrat mit den lachenden Kindern. Ich fuhr empor, nicht wenig beschämt, in so einfältig kindischem Buche lesend, von Erwachsenen ertappt zu sein, und war’s noch mehr, als ich erstaunt sah, daß längst wieder Sonne an die Fenster funkelte und ich in Gullivers Reisen ein Unwetter überlesen hatte. Ich dankte für die Gastlichkeit und ging wieder die Felder zurück, kindisch mich selber scheltend, daß ich so sehr mich an so einfältigen Reiz gefangen gegeben, aber bald kam besseres Besinnen und mir wurde klar, daß doch in allem, was zwingt, und selbst im geringsten, irgendeine starke und lebendige Gewalt wohltätig wirksam sein muß. Ob dies ein Zufall gewesen, der mich so bannte, oder geheime Kraft, wollte ich nun bewußt erproben. Am nächsten Tag sandte ich in die nahe kleine Stadt, ließ mir den ›Robinson Crusoe‹ holen (denn diese Bücher hat jede Stadt vom einen bis zum anderen Ende der Welt), und wieder war ich gefangen von fremdem Geschick.

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