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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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vollendet und sein Leben geschaffen hat. Diese organisch gestaltete Anordnung seiner Gedichte läßt es uns nun zum drittenmal betrachtend fühlen, daß Werk und Leben ein einziges untrennbares, blühendes und langsam welkendes Wesen bei Goethe sind, und niemals hat man es vielleicht besser gefühlt als im vergleichenden Genießen, denn jedes Gedicht ist nun durchtränkt vom Sinn des Ganzen und das Ganze wieder beseelt von jedem einzelnen Vers. Daß auch notwendigerweise das Nichtige einbezogen ist, die zahllosen Verse, in denen das tote Material des Verses und des Reimes in Abwesenheit des produktiven Elements sich gleichsam selbst fortgedichtet hat, gerade dies verinnerlicht und verwahrheitlicht das menschliche Bild, ohne das des Künstlers zu vermindern. Gerade in dem zeitlichen Nebeneinander des großartigen Gedichtes mit den kleinlichsten Gelegenheitsversen mag der Unbelehrte spüren, daß auch in dem gewaltigen Menschen wie im Täglichen auch im Geistigen die niederen Funktionen den erhabenen eng benachbart sind und eben die Gemengtheit des Gestalteten die nur gelegentliche Gegenwart des Genius in der Wirrheit des täglichen Tages zum höheren Wunder macht. Vermenschlichung eines Werkes fördert immer mehr sein letztes Verstehen als seine Vergöttlichung, und diese wird hier geboten durch die Gesamtheit, die wahllose, seiner Verse und die sinnvolle Anordnung in ihrem eigentlichsten Sinne, dem seines eigenen Lebens.
    Und dieses Leben Goethes, mehr als je, erneut sich’s in diesen unseren Tagen. Zwei umfassende, breitwuchtige und innerlich tiefgründige Darstellungen, die Houston Stewart Chamberlains und Georg Simmels, haben fast gleichzeitig es in seiner ganzen bedeutsamen Fülle darzustellen versucht, in einem Tafelwerk ›Goethes äußere Erscheinung‹ hat man handlich alle Bilder dem Blick vereint, und in Weimar sind die Kärrner am Königsbau unablässig am Werk. Es galt lange als gute literarische Sitte, ihrer zu spotten, daß sie jeden Waschzettel bergen, jeder Spur bis in Staub und Schutt nachspürten, die er jemals gegangen – mir war’s nie gegeben, diese stille und doch leidenschaftliche Tätigkeit als eine minderwertige zu empfinden, denn jede Hingabe an das Gewaltige will mir fruchtbar erscheinen und gerade diesen regen stillen Menschen danke ich vielfachsten Gewinn. Hans Gerhard Gräf, der diese meisterhafte Anordnung der Gedichte schuf (die auf schwierigsten Konjekturen ruht, auf Entzifferungen mühevollster Art und Forschungen, die über Jahre hingehen), hat in dem neunbändigen Werk ›Goethe über seine Dichtungen‹ ein einziges Kompendium der Selbstbewertung eines Dichters geschaffen, und das nüchterne Diarium, das Kalendarium, das er plant, wird uns – möge er’s doch vollenden! – Tag für Tag dieses exemplarischen Lebens, die ganze Tätigkeit von jedem Morgen zum Abend zeigen und damit dem ewig unverständlichen Geheimnis von Goethes Lebenskunst näher bringen, als jede weitschweifige und geistige Darstellung. Schicht für Schicht bauen dort fleißige Hände die ganze irdische Existenz noch einmal auf, allmählich wandert jedes Blatt, das er geschrieben, jedes Bild, das ihn darstellt, nach Weimar wieder hin, in das Haus, von dem in zahllosen Manifestationen die Flut, die niemüde, seines Wirkens sich ausströmte in die Welt, ebbt sie wieder zurück. Jedes Möbelstück – wie viele mußten zurückgeholt werden aus ihrer Diaspora – steht nun wieder auf dem alten Platze und grüßt die Besucher wie einst, da sie ihn selbst suchten, den Gewaltigen; mitten im Kriege haben die Sorglichen mit deutschem Bedacht dort die Sammlungen von Steinen, Pflanzen, Kameen, an denen er mit so viel Liebe hing, in die er so viel Zeit und suchende Kraft verinnerlicht hat, sichtbar gemacht und damit eine neue Facette seiner Existenz belichtet. Einzelarbeiten scheinen sie alle zu tun und sind doch Wirkende gemeinsamer Tat, denn mehr als ein Denkmal ist es, ein starres, das sie schaffen, die Tat in Weimar gilt im letzten der Erneuerung seiner realen Existenz, einem sichtlichen Symbol seiner inkommensurablen Persönlichkeit. Dort, wo es körperlich verloschen ist, sein Leben, baut es sich geistig aus seinen eigenen Elementen wieder auf, und in dem Maße, als er durch die Zeit, die fühllose, ferner wird, macht ihn sorgliche Hingabe und werktätige Liebe wieder nah.

Verse eines Gottsuchers
    In »Die Nation«, Ausgabe 23 (1905/06)
    D em vielleicht seltsamsten der deutschen Versbücher, dem ›Cherubinischen

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