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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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zeugenden Lebens, das ordnende Prinzip nicht in der Kunst Goethes, sondern in seiner Existenz gefunden, die wir längst gewohnt sind, selbst als ein Kunstwerk zu betrachten und zu verstehen. Es sind eigentlich nicht Goethes Gedichte mehr, die diese neue Ausgabe uns genießen läßt, sondern Goethes Leben im Gedicht.
    Bei jedem anderen Dichter wäre die Zulänglichkeit und Ersprießlichkeit eines solchen Unternehmens, das unscheinbar und bescheiden eine kaum übersehbare Fülle philologischen Fleißes in sich schließt, in Diskussion zu ziehen. Bei Goethe aber, der seinem schöpferischen Werk die Formel fand: »Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens«, dient in wunderbarer Wechselwirkung jede Biographie zum Begreifen seines Kunstwerkes, jedes Kunstwerk zum Erfassen seiner irdischen Natur. Bei keinem so sehr wie bei ihm steigert sich das Genießen des Gestalteten so durch die Beziehung auf sein Leben, erklärt sich Bedeutsamstes der inneren Welt so sehr durch äußeren Anlaß. Alles, auch das Entfernteste, hat ja bei ihm Bezug auf Tatsächlichkeiten, und niemand hat es deutlicher als er selbst bekannt, damals im denkwürdigen Gespräche mit Eckermann: »Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte: sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden«, und mit diesem Bekenntnis uns berechtigt, diesen Bezug immer wieder aufs neue zu suchen. Liest man die Gedichte nun zum erstenmal in dieser neuen Ordnung, ganz so wie sie vor einem Jahrhundert Tag um Tag, Jahr um Jahr seiner steigenden und allmählich wieder erstarrenden Schöpfungskraft entquollen sind, so erlebt man sie in einem neuen und viel persönlicheren Sinn als je zuvor, denn alles hat nun Beziehung auf sein Schicksal, spiegelt in leichten oder starken Reflexen fremde Gestalten, Frauen und Landschaften, Stadt und Reisen bis ins einzelne Gedicht hinein. Gleichsam ein Hintergrund ist hinter jedes einzelne gestellt, ein Rahmen jedem Bilde umtan, der seine Farben seltsam verstärkt, und mancher Klang in einem oft gelesenen Vers hat mit einem Male seltsam bewegte Resonanz von verklungenem Leben. Was früher ein Beisammensein war von Gedichten, ist nun eine einzige Wanderschaft durch die gesegneten siebzig Jahre seiner schaffenden Existenz, durch die Landschaft seines unvergleichlichen Lebens.
    Wunderbar, wie man sie fühlt, diese Landschaft seines Lebens, geführt vom Gedicht, denn nicht still und kalt liegt sie da, gleichsam in seinem warmen Blute wandern wir hin und spüren nachfühlend die Jahreszeiten des Lebens. Frühling, Sommer, Herbst und Winter ist darin, mit allen Mysterien des Überganges, und gleichzeitig schließt jenes andere Geheimnis sich auf, das Erwachen der Kunst, das Blühen und Erstarren des bildnerischen Triebes mit dem blühenden und wieder erkaltenden Blute. Das erste Blatt gleich das Gelegenheitsgedicht des Achtjährigen an seine Großeltern ›Bey dem erfreulichen Anbruch des 1757. Jahres seinen hochgeehrten und herzlichgeliebten Großeltern von derselben treugehorsamsten Enkel gewidmet‹. Es tut die Frankfurter Kinderstube rührend auf, zeigt wie ein kleines Pastell den Knaben im heimischen Kreis. Ungelenk, starr wie die Schrift auf dem gelblichen Blatt, das im Hause am Hirschgraben zu Frankfurt zu sehen ist, plagt sich der Ausdruck mit vorgezeichneten Formen: wie die Feder der kindischen Hand, so wehrt sich das Wort noch dem Reim. Ein paar Seiten weiter und wir blättern seine Knabenjahre mit, an denen die spielerischen Versuche immer mehr Gelenkigkeit gewinnen, französische und deutsche, englische Gedichtlein fließen flink und sauber von der leichten Schülerhand. Dann plötzlich eine Überschrift: Leipzig, der muntere Vogel ist flügge geworden und aus dem Nest. Mit einmal ist er nun der junge Student, der an der Pleiße zwischen Spaß und Spiel, Kolleg und Tanzen, Reiten und Fechten modische Verslein macht, Verse, die sich bald in Alexandrinerfloskeln verschnüren, mit bunten Schäferbändern behängen, bald wieder im burschikosen Übermut den Mummenschanz sich abreißen und mit derben Reimen wie mit der Peitsche knallen. Unwillkürlich blättert man sich dazu das Silhouettenbildnis des damaligen Studenten Johann Wolfgang auf, das zierliche Bürschchen mit Zopf, Puderquaste und Spazierstock, aus dessen Profil noch ganz der spielerische Knabe lugt, der sich vergnüglich in Klein-Paris die Zeit vertreibt. Man blättert weiter in diesen lyrischen Tändeleien, blättert weiter vorbei an der neuen

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