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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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»Dämonen«, muß sich selbst töten, um Gott zu töten – und beweist damit, leidenschaftlicher als die anderen, seine Existenz und Unentrinnbarkeit. Man blicke doch auf seine Gespräche, wie die Menschen vermeiden wollen, von Ihm zu sprechen, wie sie Ihm ausweichen und ausbiegen: sie möchten immer gern unten bleiben im niedern Gespräch, im »small talk« des englischen Romans, sie reden von der Leibeigenschaft, von Frauen, von der Sixtinischen Madonna, von Europa, aber die unendliche Schwerkraft der Gottesfrage hängt sich an jedes Thema und zieht es schließlich magisch in seine Unergründlichkeit. Jede Diskussion bei Dostojewski endet beim russischen Gedanken oder beim Gottesgedanken – und wir sehen, daß diese beiden Ideen für ihn eine Identität sind. Russische Menschen, seine Menschen, können sie, so wie in ihren Gefühlen, auch in ihren Gedanken nicht haltmachen, sie müssen unvermeidlich vom Praktischen und Tatsächlichen in das Abstrakte, vom Endlichen ins Unendliche, immer ans Ende. Und aller Fragen Ende ist die Gottesfrage. Sie ist der innere Wirbel, der ihre Ideen rettungslos in sich reißt, der schwärende Splitter in ihrem Fleische, der ihre Seelen mit Fieber erfüllt.
    Mit Fieber. Denn Gott – Dostojewskis Gott – ist das Prinzip aller Unruhe, weil er, Urvater der Kontraste, zugleich das Ja und das Nein ist. Nicht wie auf den Bildern der alten Meister, in den Schriften der Mystiker ist er die sanfte Schwebe über den Wolken, selig-beschauliches Erhobensein – Dostojewskis Gott ist der springende Funke zwischen den elektrischen Polen der Urkontraste, er ist kein Wesen, sondern ein Zustand, ein Spannungszustand. Er ist, wie seine Menschen, wie der Mensch, der ihn schuf, ein ungenügsamer Gott, den keine Anstrengung bewältigt, kein Gedanke erschöpft, keine Hingabe befriedigt. Er ist der ewig Unerreichbare, ist aller Qualen Qual, und mitten aus Dostojewskis Brust bricht darum Kirillows Schrei: »Gott hat mich mein ganzes Leben lang gequält.«
    Das ist Dostojewskis Geheimnis: er braucht Gott und findet ihn doch nicht. Manchmal meint er ihm schon zu gehören, und schon umfaßt ihn seine Ekstase, da klirrt sein Verneinungsbedürfnis ihn wieder zur Erde. Keiner hat das Gottesbedürfnis stärker erkannt. »Gott ist mir deshalb notwendig«, sagt er einmal, »weil er das einzige Wesen ist, das man immer lieben kann«, und ein anderes Mal: »Es gibt keine unaufhörlichere und quälendere Angst für den Menschen, als etwas zu finden, vor dem er sich beugen kann.« Sechzig Jahre leidet er an dieser Gottesqual und liebt Gott wie jedes seiner Leiden, liebt ihn mehr als alles, weil er das ewigste aller Leiden ist und Leidensliebe den tiefsten Gedanken seines Seins bedeutet. Sechzig Jahre kämpft er sich zu ihm und lechzt »wie trockenes Gras« nach dem Glauben. Das ewig Zersprengte will eine Einheit, der ewig Gejagte eine Rast, der ewig Getriebene durch alle Stromschnellen der Leidenschaft, der sich Zerströmende den Ausgang, die Ruhe, das Meer. So träumt er ihn als Beruhigung und findet ihn doch nur als Feuer. Er möchte selbst ganz klein werden, ganz wie die Dumpfen im Geiste, um in ihn eingehen zu können, möchte glauben können im Köhlerglauben, wie die »zehn Pud dicke Kaufmannsfrau«, möchte es aufgeben, der Wissendste, der Bewußte zu sein, um der Gläubige zu werden, wie Verlaine fleht er: »Donnez-moi de la simplicité.« Das Gehirn verbrennen im Gefühl, hinströmen in die Gottesruhe, tierhaft dumpf, das ist sein Traum. O wie streckt er sich ihm entgegen, er tobt brünstig, er schreit, er wirft die Harpunen der Logik aus, ihn zu fassen, legt ihm die verwegensten Fuchsfallen der Beweise; wie ein Pfeil schießt seine Leidenschaft auf, ihn zu treffen, ein Lechzen nach Gott ist seine Liebe, eine »fast unanständige Leidenschaft«, ein Paroxysmus, ein Überschwang.
    Ist er aber darum schon gläubig, weil er so fanatisch glauben will? War Dostojewski, der beredteste Anwalt der Rechtgläubigkeit, der Pravoslavie, selbst ein Bekenner, ein poeta Christianissimus? Sicherlich in Sekunden: da zuckt sein Spasma ins Unendliche hinein, da krampft er sich ein in Gott, da hält er die Harmonie, die irdisch versagte, in Händen, da ist er, der Gekreuzigte seines Zwiespaltes, auferstanden in den alleinigen Himmeln. Aber doch: irgend etwas bleibt auch dann noch wach in ihm und schmilzt nicht hin im Seelenbrand. Während er schon ganz aufgelöst scheint, ganz überirdische Trunkenheit, bleibt jener grausame

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