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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ihnen. Die Taten ihrer Hände sind nicht die ihrer Herzen, die Sprache ihrer Herzen wieder nicht die ihrer Lippen, jedes einzelne Gefühl ist so Zerspaltenheit, Vielfalt und Vieldeutigkeit. Nie wird es gelingen, bei Dostojewski eine Einheit des Gefühls zu fassen, nie, einen Menschen im Netz eines Sprachbegriffes zu fangen. Man nenne Fedor Karamasow einen Wüstling: der Begriff scheint ihn zu erschöpfen, aber doch, ist nicht Swidrigailow auch einer und jener namenlose Student in den »Werdenden«, und doch: welche Welt zwischen ihnen und ihren Gefühlen! Bei Swidrigailow ist die Wollust eine kalte, seelenlose Ausschweifung, er ist der berechnende Taktiker seiner Unzucht. Karamasows Wollust wieder ist Lebenslust, Ausschweifung bis zur Selbstbeschmutzung betrieben, ein tiefer Trieb, sich in das Niederste des Lebens noch einzumengen, nur weil es Leben ist, sein Unterstes, seinen Absud noch zu genießen aus einer Ekstase der Vitalität. Jener ist Wollüstling aus Mangel, der andere aus Exzeß des Gefühls, was bei diesem kranke Erregung des Geistes, ist bei jenem eine chronische Entzündung. Swidrigailow wieder ist der Mittelmensch der Wollust, der »Lasterchen« hat statt der Laster, ein kleines schmutziges Tierchen, ein Insekt der Sinne, und jener, der namenlose Student der »Werdenden« wiederum, ist Perversion geistiger Bosheit ins Sexuelle. Man sieht, Welten des Gefühls stehen zwischen diesen Menschen, die sonst ein einziger Begriff zusammenfaßt, und so wie hier die Wollust differenziert ist und aufgelöst in ihre geheimnisvollen Verwurzlungen und Komponenten, so ist bei Dostojewski jedes Gefühl, jeder Trieb immer zurückgeführt in die letzte Tiefe, in den Ursprung aller Kraftströmung, in jenen letzten Gegensatz zwischen Ich und Welt, Behauptung und Hingabe, Stolz und Demut, Verschwendung und Sparsamkeit, Vereinzelung und Gemeinschaft, zentripetale und zentrifugale Kraft, Selbststeigerung oder Selbstvernichtung, Ich oder Gott. Man mag die Gegensatzpaare nennen, wie es der Augenblick fordert, immer sind es letzte, sind es Urgefühle jener Welt zwischen Geist und Fleisch. Nie haben wir vor ihm von dieser wimmelnden Vielfalt des Gefühls, von unserer seelischen Gemengtheit so viel gewußt.
    Am überraschendsten aber wird diese Auflösung des Gefühls bei Dostojewski in der Liebe. Es ist die Tat seiner Taten, daß er den Roman, ja die ganze Literatur, die seit Hunderten von Jahren, seit der Antike, immer nur in diesem Zentralgefühl zwischen Mann und Weib, als in den Urquell alles Seins, gemündet hatte, noch tiefer hinab, noch höher hinauf, in letzte Erkenntnisse geführt hat. Liebe, anderen Dichtern der Endzweck des Lebens, das Erzählungsziel des Kunstwerkes, ihm ist sie nicht Urelement, sondern nur Stufe des Lebens. Für die anderen dröhnt die glorreiche Sekunde der Versöhnung, der Ausgleich aller Widerstreite im Augenblicke, da Seele und Sinne, Geschlecht und Geschlecht sich restlos in himmlische Gefühle lösen. Im letzten Grunde ist bei ihnen, den anderen Dichtern, der Lebenskonflikt lächerlich primitiv im Vergleich zu Dostojewski. Liebe rührt den Menschen an, ein Zauberstab aus göttlicher Wolke, Geheimnis, die große Magie, unerklärlich, unerläuterbar, letztes Mysterium des Lebens. Und der Liebende liebt: er ist glücklich, erlangt er die Begehrte, er ist unglücklich, erlangt er sie nicht. Wiedergeliebt sein ist der Himmel der Menschheit bei allen Dichtern. Aber Dostojewskis Himmel sind höher. Umarmung ist bei ihm noch nicht Vereinigung, Harmonie noch nicht die Einheit. Für ihn ist Liebe nicht ein Glückszustand, ein Ausgleich, sondern erhobener Streit, intensiveres Schmerzen der ewigen Wunde und darum ein Leidensdokument, ein stärkeres Am-Leben-Leiden als in den gemeinen Augenblicken. Wenn Dostojewskis Menschen einander lieben, so ruhen sie nicht. Im Gegenteil, nie sind seine Menschen mehr durchschüttelt von allem Widerstreit ihres Wesens als im Augenblick, da Liebe sich von Liebe erwidert fühlt, denn sie lassen sich nicht versinken in ihrem Überschwang, sondern suchen ihn zu übersteigern. Sie machen, echte Kinder seiner Entzweiung, nicht halt in dieser letzten Sekunde. Sie verachten die sanfte Gleichung des Augenblicks (den alle anderen als den schönsten ersehnen), daß Geliebter und Geliebte sich gleich stark lieben und geliebt werden, weil dies Harmonie wäre, ein Ende, eine Grenze, und sie leben nur für das Grenzenlose. Dostojewskis Menschen wollen nicht ebenso lieben wie sie geliebt

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