Stefan Zweig - Gesammelte Werke
die Franzosen, die bei der Teilung der Erde zwischen Spanien und Portugal zu kurz gekommen sind, beginnen diesem noch unbesiedelten und unorganisierten Stück breiter, schöner Erde zusehends ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Immer häufiger erscheinen Schiffe aus Dieppe und Le Havre, um Brasilholz zu holen, und Portugal hat in den Hafenplätzen noch keine Schiffe, keine Soldaten, um piratischen Eingriffen zu wehren. Sein Rechtstitel ist nur ein papierner, und mit einem einzigen raschen Handstreich, mit fünf, vielleicht sogar bloß mit drei bewaffneten Schiffen könnte sich Frankreich, wenn es wollte, der ganzen Kolonie bemächtigen. Um die weitgestreckte Küste zu verteidigen, tut also eines not: sie zu besiedeln. Wenn die Krone Brasilien zu einem portugiesischen Land machen und es sich als Krongut erhalten will, muß sie sich entschließen, Portugiesen hinüberzuschicken. Das Land mit seinem riesigen Raum, mit seinen unbeschränkten Möglichkeiten will Hände und braucht Hände, und jede neue, die kommt, winkt hinüber, um neue und neue zu fordern. Von Anfang an, durch die ganze Geschichte Brasiliens, wiederholt sich dieser Ruf: Menschen, mehr Menschen! Es ist wie die Stimme der Natur, die wachsen und sich entfalten will und zu ihrem wahren Sinn, zu ihrer Größe, den notwendigen Helfer, den Menschen, braucht.
Aber wie Kolonisten finden in dem kleinen, schon halb ausgebluteten Lande? Portugal hat zu Beginn seiner Eroberungszeit höchstens dreihunderttausend erwachsene Männer, davon sind ein gutes Zehntel, die stärksten, die besten, die mutigsten mit den Armadas und von diesem Zehntel neun Zehntel schon dem Meer, den Kämpfen, den Krankheiten zum Opfer gefallen. Immer schwerer wird es, obwohl die Dörfer schon entvölkert, die Felder verödet sind, Soldaten und Matrosen zu finden, und selbst unter der Gilde der Abenteuerlustigen will keiner nach Brasilien. Die vitalste, die tapferste Schicht des Landes, die Fidalgos, die Adeligen und Soldaten weigert sich; sie wissen, daß in der Terra de Santa Cruz kein Gold zu holen ist, keine Edelsteine, kein Elfenbein und nicht einmal Ruhm. Die Gelehrten wiederum, die Intellektuellen, was sollen sie tun dort im Leeren, abgeschnitten von aller Kultur, die Händler, die Kaufleute, was sollen sie handeln in einem Land mit nackten Kannibalen, was heimbringen in umständlichem Hin und Her, wo doch eine einzige Fracht von den Molukken tausendfach das Risiko lohnt? Selbst die ärmsten portugiesischen Bauern ziehen vor, die eigene Erde zu bestellen, statt sich in diese fremde und unbekannte der Kannibalen zu wagen. Kein Mann von Adel und Rang, von Reichtum und Kultur zeigt also die mindeste Neigung, sich nach diesen leeren Küsten einzuschiffen, und so sind, was in den allerersten Jahren in Brasilien haust, kaum mehr als ein paar gestrandete Seeleute, ein paar Abenteurer und Deserteure von Schiffen, die durch Zufall oder Trägheit dort zurückgeblieben sind und ihr Bestes zu einer raschen Besiedlung ausschließlich dadurch tun, daß sie dort unzählige Mischlinge, die sogenannten Mamelucos zeugen – einem einzigen werden dreihundert zugeschrieben; aber im ganzen bleiben sie doch nur ein paar hundert Europäer in einem Land, dessen bekanntes Ausmaß damals schon fast so groß ist wie Europa.
So ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, der Einwanderung mit Gewalt und Organisation nachzuhelfen. Portugal wendet dafür die schon in Spanien erprobte Methode der Deportation an, indem alle Alcalden des Landes aufgerufen werden, Übeltäter nicht mehr zu richten, sofern sie sich bereit erklären, nach dem neuen Weltteil zu fahren. Wozu die Gefängnisse überfüllen und Verbrecher jahrelang auf Staatskosten verpflegen? Besser, man schickt die degregados auf Nimmerwiederkehr über das Meer in das neue Land; dort können sie am Ende noch nützlich sein. Wie immer ist es scharfer, nicht ganz reinlicher Dünger, der eine Erde am besten für künftige Ernte reif macht.
Die einzigen Kolonisten, die freiwillig kommen, nicht aus Ketten, ohne Brandmal und richterliches Verdikt, sind die Cristãos Novos, die frischgetauften Juden. Aber auch sie kommen nicht ganz freiwillig, sondern aus Vorsicht und Angst. Sie haben in Portugal mehr oder minder aufrichtig die Taufe genommen, um dem Scheiterhaufen zu entgehen, fühlen sich jedoch mit Recht im Schatten Torquemadas nicht mehr sicher. Besser also rechtzeitig hinüber in ein neues Land, solange die grimmige Hand der Inquisition noch nicht über den Ozean zu
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