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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und wie Ersatz dafür? Die Austreibung der Jesuiten, die angeordnete Konfiskation ihrer Güter hat nichts geholfen; nach dem ersten Traumreich der »Lusiaden« ist nun auch das des ewigen Eldorados entschwunden. Tückisch wie immer hat das Gold nur Glückseligkeit versprochen und nicht gehalten. Und Portugal muß sich bescheiden, wieder zu werden, was es zuerst gewesen, ein kleines, stilles und eben um dieser stillen Schönheit willen liebenswertes Land.
    Die andere, gleichzeitige Szene in Minas Gerais in vollkommenem Gegensatz: die Goldwäscher sind mit ihren Maultieren, Eseln, Sklaven und ihrer ganzen beweglichen Habe von der unwirtlichen Gebirgsgegend heruntergezogen und haben das fruchtbare Wiesenland entdeckt. Sie siedeln sich an, kleine Niederlassungen und Städte entstehen, den São Francisco entlang fahren die Schiffe, der Verkehr belebt sich, aus einem leeren unbewohnten, unbebauten Lande wird eine neue, tätige Provinz. Was für Portugal Verlust, wird für Brasilien Vorteil; für das entschwundene Gold hat es eine ungleich kostbarere Substanz gewonnen, ein neues Stück seiner Erde für tätige und fruchtbringende Arbeit.
    Dieser Goldsturm nach Minas Gerais stellt in demographischer Hinsicht eigentlich die erste jener großen Innenimmigrationen dar, die für die nationale und wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so entscheidend geworden sind. Ohne diese immer wiederholten Wanderungen im inneren Raum wäre das Phänomen unverständlich, daß ein Land von so ungeheurer Ausdehnung in einem solchen Maße national einheitlich geblieben ist, daß selbst die Sprache sich kaum in einzelne Dialekte umfärbte und vom Paranê hinauf bis zum Amazonas, vom Ozean bis in die fast unerreichbare Ferne von Goiaz dieselben Sitten obwalten und trotz aller klimatischen und beruflichen Verschiedenheiten der Volkstypus ein einheitlicher geblieben ist. Wie in allen großräumigen Ländern hat hier der Ansiedler ein anderes Verhältnis zur Scholle wie der Bauer der engen europäischen Gemarkung, der völlig seinem Haus wie seinem Grund verhaftet ist. In Brasilien, wo die Erde im ganzen Hinterlande frei war und jeder sie nehmen konnte, wo er wollte und wie er wollte, ist der Mensch wanderlustig und unternehmungsbereit. Es ergab sich hier ganz natürlich, daß der Ansiedler, weniger traditionell gebunden als der europäische Bauer, leicht seinen Wohnsitz tauschte und jeder neuen Gelegenheit willig folgte, die sich ihm bot. So prägen die großen Umschaltungen in der brasilianischen Wirtschaft von einem Monopolprodukt zum andern, die sogenannten Zyklen der Produktion, sich auch als Wanderungen und Verschiebungen des siedlerischen Gleichgewichts aus, und man könnte in gewissem Sinne diese Zyklen ebenso wie nach den Produktionsobjekten nach den Städten und Landschaften benennen, die sie geschaffen haben. Die Ära des Holzes, des Zuckers und Cotons hat den Norden besiedelt. Sie hat Bahia geschaffen, Recife, Olinda, Pernambuco und Cearê. Minas Gerais ist besiedelt worden durch das Gold. Rio de Janeiro wird seine Größe der Umsiedlung des Königs mit seinem Hofe danken, São Paulo seinen phantastischen Aufstieg dem Imperium des Kaffees, Manaus und Belém ihre plötzliche Blüte dem rasch ablaufenden Zyklus des Gummis, und noch wissen wir die Lage der Städte kaum, die der nächste Umschwung, die Erzgewinnung, die Industrie zu plötzlichem Wachstum bringen wird.
    Dieser Prozeß der Gleichgewichtsverteilung, der noch heute in vollem Gang ist, – denn der Brasilianer ist dank seiner dunklen Erbschaft besonders beweglich von Natur –, und der dauernd gefördert wurde durch eine ständige Zumischung von erst der afrikanischen, dann der europäischen Immigration, hat verhindert, daß der organische Ausbreitungsprozeß jemals völlig ins Stocken geraten ist. Er hat eine allzu stabile soziale Schichtung verhindert, und statt des partikulären Elements das nationale stärker herausgearbeitet. Man hört noch hie und da sagen, daß dieser von Bahia stammt und jener aus Porto Alegre, aber bei näherer Nachfrage erfährt man, daß Vater oder Mutter fast immer von anderer Herkunft sind; dank dieser ständigen Transfusion und Transplantation hat sich dieses Wunder der brasilianischen Einheitlichkeit bis auf den heutigen Tag gerettet, wo durch die gesteigerten Verbindungsmöglichkeiten die bindenden Kräfte des Radios und der Zeitung eine nationale Zusammenfassung viel selbstverständlicher machen. Während das spanisch-südamerikanische Reich, das

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