Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Wagemuts, da ein paar entschlossene Abenteurer mit vier oder fünf Schiffen und ein paar hundert Soldaten ganze Länder massakrieren und unterjochen konnten. 1700 ist Brasilien schon eine Einheit und eine Kraft; es hat seine Städte, seine Festungen, seine Häfen, und – was immer entscheidender ist als dies alles – es bildet bereits eine nationale Gemeinschaft und in ihr eine unsichtbare Armee, die bis zum letzten Manne gegen jeden fremden Einbruch sich wehren würde und sogar dem eigenen Mutterland über dem Meer nurmehr unwillig Zoll und Tribut zubilligt. Es braucht nur noch eines: mehr Zeit und mehr Menschen. Auf die Dauer wird der Stille und der Geduldige gerade der Stärkste sein.
Die Entdeckung des Goldes in der Provinz Minas Gerais ist mehr als ein nationales Ereignis für Brasilien und Portugal. Es ist ein Weltgeschehnis, das die ganze ökonomische Gestaltung der damaligen Wirtschaft entscheidend beeinflußt hat; nach der Feststellung Werner Sombarts wäre die kapitalistische und industrielle Entwicklung Europas zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts unmöglich gewesen ohne den gewaltigen und stimulierenden Einstrom des brasilianischen Goldes in die sofort rascher pulsenden Adern des europäischen Wirtschaftslebens. Was Brasilien, dieses bisher unbeachtete Land, an Gold mit einemmal auf den Markt wirft, ist für die damalige Zeit eine kaum vorstellbare Summe. Nach den verläßlichen Schätzungen Roberto Simonsens ist in dem einen Bergtal von Minas Gerais in diesem halben Jahrhundert mehr Gold gefördert worden, als in ganz Amerika zusammengenommen bis zur Entdeckung der kalifornischen Goldgruben im Jahre 1852. Die Beute Perus und Mexikos, die das sechzehnte Jahrhundert in einen Ausbruch von Tollheit versetzte und mit einem Schlage den Sachwert, den Geldwert aller Dinge verdoppelte und verdreifachte (wie Montesquieu in seiner berühmten Studie »Les Richesses de l’Espagne« so großartig geschildert hat), stellen kaum ein Fünftel, vielleicht nur ein Zehntel dessen dar, was die lange mißachtete Kolonie ihrem Mutterlande bringt. Das eingestürzte Lissabon ist aus diesem Golde neu aufgebaut worden, das gigantische Kloster Mafra aus dem »Quinto«, dem an den König abzuliefernden gesetzlichen Fünftel errichtet; die plötzliche Blüte der englischen Industrie konnte nur so großartig aufschießen aus diesem gelben Dünger, Handel und Wandel Europas geraten durch diesen plötzlichen Zustrom in beschleunigten Schwung. Für eine Weltstunde, für fünfzig Jahre, ist Brasilien die Münzkammer der alten Welt und die ergiebigste, beneidetste Kolonie, die ein europäischer Staat besitzen kann. Für einen Augenblick will es scheinen, als sei der Traum der Conquistadoren erfüllt und das sagenhafte Eldorado gefunden.
Diese Episode des Golds – denn es wird nicht mehr als eine Episode in der Geschichte Brasiliens sein – ist dermaßen dramatisch in Aufstieg, Ablauf und Ausklang, daß man sie am besten wie ein Theaterstück mit einzelnen Akten in Szenen schildert.
Der erste Akt spielt knapp vor 1700 in einem Bergtal von Minas Gerais, das damals noch keine Provinz ist, sondern ein menschenleerer Humus ohne Städte und Wege. Eines Tages ziehen von Taubaté, einer kleinen Niederlassung der Paulisten, ein paar Männer zu Pferd und zu Maultier gegen die Hügel, die der kleine Rio das Velhas in vielen Krümmungen und Windungen durchbricht; wie tausend andere vor ihnen sind diese Männer ausgezogen nach einem Irgendwohin, ohne einen Weg zu wissen und eigentlich ohne bestimmtes Ziel. Sie wollen nur etwas finden und heimbringen, vielleicht Sklaven, vielleicht Vieh, vielleicht ein kostbares Metall. Dann kommt der unvermutete Fund: einer von ihnen, man weiß nicht, ob auf geheime Kunde hin oder durch bloßen Zufall, entdeckt im Sand die ersten Körner angeschwemmten Goldes und bringt sie in einer Flasche nach Rio de Janeiro. Und wie immer genügt der erste Blick auf dieses geheimnisvoll neidfarbene Metall, und eine wilde Völkerwanderung setzt ein. Von Bahia, von Rio de Janeiro, von São Paulo hasten die Leute heran, zu Pferd, zu Esel, zu Maultier, zu Fuß und in Barken den São Francisco empor. Matrosen verlassen – hier hat der Regisseur die Massenszenen einzusetzen – ihre Schiffe, die Soldaten ihre Garnisonen, Kaufleute ihre Geschäfte, Priester ihre Kanzeln, und in schwarzen Herden werden die Sklaven herangetrieben in diese Wildnis. Für den ersten Augenblick droht der scheinbare Glücksfall eine beispiellose
Weitere Kostenlose Bücher