Stefan Zweig - Gesammelte Werke
fressende Mäuler flohen zur Stadt.
ZEDEKIA (nach einer Pause):
Es ist nicht vonnöten, daß jeder die volle Zehrung habe. Wir werden sparen.
NACHUM:
Auch bislang ward kein Körnchen verschwendet, mein König, und doch gähnen die Speicher. Gewaltigen Schlund hat die Zeit.
ZEDEKIA:
Und wie lange… meinest du… könnten wir ausharren… mit unserer Zehrung…
NACHUM (leise):
Drei Wochen, Herr, – zum längsten.
(ALLE schweigen wieder betroffen.)
ZEDEKIA:
Drei Wochen… und dann?
NACHUM:
Ich weiß nicht Antwort, Herr, Gott weiß sie allein.
(ALLE schweigen wieder.)
HANANJA (erregt):
Man teile die Brote. Man gebe jedem nur das Halbe oder ein Drittel. Genug lang haben sie gepraßt für sich und ihre Kebsen, nun mögen sie darben für den Herrn.
ABIMELECH:
Meine Krieger dürfen nicht geschmälert werden. Wer kämpfen soll, darf nicht darben.
HANANJA:
Alle müssen ihr Teil geben, auch die Krieger. Es gilt Jerusalem.
ABIMELECH:
Meine Krieger müssen Kraft haben. Lieber mögen die Unnützen verhungern, die Luftbläser und Wortemacher.
NACHUM:
Um Nichtiges rechtet ihr. Denn was wäre gewonnen, schnürten wir die Magen, wenn Hundertmaltausend in unsern Mauern sind? Drei Wochen reicht die Zehrung, und schlachten wir die Tiere des Tempels, so währet es zwei Sabbate mehr.
PASHUR:
Es muß mehr Stille sein zwischen uns. Wie die Feinde sprecht ihr gegeneinander. Wir müssen verbündet sein gegen Nabukadnezar und verbündet gegen das Volk. Nicht er und nicht sie dürfen wissen von unserer Not.
ZEDEKIA:
Und wenn er es wüßte bereits?
NACHUM:
Keiner kann es wissen. Ein Siegel drücke ich allmorgendlich an die Tür der Kammern und löse es mit eigener Hand. Nicht das Volk ahnt die Not, nicht Nabukadnezar.
ABIMELECH:
Gott sei gepriesen. Er würde unser nicht schonen.
ZEDEKIA:
Ich habe euch gerufen zum Rat, ihr Ältesten des Volkes. Nicht war mir bewußt, wie karg unsere Speise sei, und doch, meine Gedanken standen auf wider die Zeit. Nicht das Schwert allein endet die Kriege, oft sänftigt sie das Wort. Und ich rief euch, zu fragen, was ihr dächtet, wenn ich Botschaft sendete zu Nabukadnezar, daß wir fragten um den Frieden zwischen unsern Völkern.
HANANJA:
Keinen Frieden mit den Lästerern des Allmächtigen!
ABIMELECH:
Möge er senden zu dir, mein König! Nicht wir zu ihm!
PASHUR:
Gefährlich dünkt mich dies Beginnen. Er wird uns zu knechten suchen, sobald er unsere Botschaft gehört.
ZEDEKIA:
Anders denn eure sind meine Gedanken. Noch ist unsere Not ihm verborgen, doch in wenig Tagen wird er sie wissen. Wir müssen die Zeit des Geheimnisses nutzen.
NACHUM:
Wie wahr ist deine Rede, mein König! Wir müssen Gnade suchen bei Nabukadnezar, ehe seine Hoffart mächtig wird über uns.
ABIMELECH (erbittert):
Keine Gnade! Lieber den Tod!
PASHUR:
Gottes Gnade bedürfen wir, keiner andern!
HANANJA:
Feiger Verräter du, Krämer des Glaubens…
IMRE (mühsam):
Wann wird der Streit tot sein in euren Herzen! Wahr redet der König. Nicht zur letzten Stunde dürfen wir warten. Lasset uns ihm entgegengehen, solange wir noch aufrecht sind.
ABIMELECH:
Es ist zu spät schon. Die Toten vor den Mauern reden wider uns.
PASHUR:
Es ist zu spät. Zuviel Grimm hat der Krieg gehäuft.
ZEDEKIA:
Es ist nicht zu spät. (Er schweigt einen Augenblick.) Denn schon ist ein Bote gegangen zwischen Nabukadnezar und mir!
(ALLE aufspringend, wirr durcheinander.)
NACHUM:
Du hast Botschaft von ihm! Gesegnet sei die Stunde!
HANANJA:
Verrat! Du verhandelst mit den Feinden!
ABIMELECH:
Keinen Vertrag ohne unsere Stimme! Du hast unser vergessen!
PASHUR:
Was handelst du, König, ohne unsere Meinung? Wozu sind wir berufen?
ZEDEKIA:
Ruhe vor mir! Könnt ihr nicht warten auf einer Rede Ende! Wie die hungrigen Hunde zerfleischt ihr das erste Wort! (Pause. Er spricht ruhiger:) Ein Sendling ist gekommen von Nabukadnezar in mein Haus, Botschaft zu bringen. Nicht habe ich ihr gewehrt, nicht habe ich sie empfangen. Versiegelt noch harrt sie in seinem Munde. Ist dies Verhandeln, was ich tat, ist dies Betrug? Redet!
(ALLE schweigen.)
PASHUR:
Verzeihe, mein König. Schwer ist es, sein Herz zu halten, wenn es heilig Schicksal trägt.
ZEDEKIA:
An euch ist es, ihn zu hören oder ihn abzuweisen.
NACHUM:
Wir sind in Not. Wir müssen ihn hören.
IMRE:
Man höre ihn und mißtraue doch seinen Worten.
ABIMELECH:
Man höre ihn, doch erwäge, ob man ihn heimsende hernach, denn er mag ein Späher sein und gesandt, uns
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