Steile Welt (German Edition)
feststand, dass ein Verweilen hier möglich war, vorausgesetzt, man genügt sich selber. Mit mehr darf man nicht rechnen. Wer sich zu viel verspricht, wird enttäuscht.
Spricht man die Sprache, ist schon viel gewonnen. Nur hat man nicht mit dem Dialekt gerechnet. Der schliesst aus. Schliesst aus, dass man versteht, was die Menschen untereinander reden. Vielleicht über einen, vielleicht redet man sich das aber auch nur ein. Es könnte ja sein. Doch auch das soll einen nicht schrecken. Nur ja nicht von Anfang an klein beigeben. Klein genug fühlt man sich bereits in Anbetracht der massigen Felswände, die einen umgeben. So schroff die Umgebung, so kantig die Bewohner. Doch es ist nicht alles Stein, was grau. Im rauen Auftreten liegt viel an Brillanz verborgen, so wie im Granit die silbrigen Einschlüsse erst im Sonnenlicht glitzern. Das gilt es zu beachten, von dem, der Augen hat, zu erkennen, was sich unter harter Schale versteckt. Da steckt viel dahinter. Hinter die dicken Mauern, die steinigen Fassaden gilt es zu blicken. Reich ist das Innenleben, so vermutet man. Und bekommt Recht. Erst recht, wenn man selber auch Bereitschaft zeigt, sich in Offenheit zu üben.
So verwöhnt vom Leben sind nicht alle. Darum muss man nicht damit rechnen, diese Menschen hier hätten jetzt gerade auf einen gewartet und möchten nichts lieber als berichten von der dem Glück abgewandten Seite des Daseins. Es wird seine Zeit dauern, bis eine Annäherung stattfindet und Vertrauen sich ausbreitet.
Diese Überlegungen und Zweifel trägt man mit sich herum und ins Haus, samt den mitgebrachten Lebensmitteln und Kleidern, den Haushaltartikeln und den Arbeitsutensilien. All das wird beobachtet, da ist man sicher. Nach den ungezählten Treppenstufen macht man sich besser heute als morgen auf den Begrüssungsrundgang. Nicht ohne vorher sämtliche Fenster und Türen aufgemacht zu haben, um frischen Wind im Haus zu haben. So ist man dann gut angekommen.
fantulígn
Hier fehlt es an nichts, und alles hat Zeit. Der Handwerker, das Postauto, der Bäcker. Vor allem der Regen. Wenn die Nebelschwaden an den Baumkronen kleben und der Himmel sich in die Wälder ergiesst, steht die Welt still, und nichts stört die Stille, bis auf das Tosen der Gewässer, die in den Grund des Tales fallen. Dieser windet sich in den uneinsehbaren Tiefen der Schlucht. Ihn bei trockenem Wetter, das sich ganz unverhofft zwischen den Regen drängen kann, zu ergründen, erfordert Geschick und ein Auge dafür, wo ein Pfad sich findet. Zwischen Farn und Steinbrocken liegen altes Laub und die stacheligen Hüllen der Kastanien des vergangenen Herbstes. Die Füsse suchen den Weg auf dem abschüssigen Untergrund und Halt auf den glitschigen Steinen der Rinnsale, die ihrem eigenen Sog abwärts folgen, vorbei an verfallenen Ställen, den Skeletten einstiger bäuerlicher Existenz. Das Rauschen nimmt zu mit jedem Schritt. Vom Bach ist nichts zu sehen. Liesse er nicht so laut von sich hören und würde verheissungsvoll die Neugierde wecken, man kehrte der Schlucht den Rücken und würde sich noch so gerne wieder dem Sonnenhang zuwenden. Der Blick abwärts deutet die Gefahr richtig. Über einem türmt sich die Felswand, sodass die Frage aufkommt, wie hier ein Absteigen überhaupt möglich gewesen ist. Von Talsohle kann nicht die Rede sein. Der Bach hat sich seinen Lauf gefressen in die weissen Steine. Schmale, unergründliche Spalten oder breite Becken, in denen das Wasser zeitweilig ruht. Der Kontrast der Wasserfarbe, in der Sonnenflecken tanzen, zum hellen Fels, lässt an Lagunen denken. Die Abgeschiedenheit in dieser vergessenen Tiefe an einsame Inseln. Hier verrinnt die Zeit im Einklang mit sich selbst.
Der Aufstieg ungleich einfacher. Ein Tritt folgt dem nächsten, im gemächlichen Tempo, das der Atem lenkt. Die Steigung so beständig, wie die Luft knapp wird. Unterhalb der Strasse dann die kleine Plattform, ein lichter Flecken Gras, wo am Abend die Rehe äsen. Ein Rastplatz an der Sonne, um den Herzschlag zu beruhigen. Das Auge wandert weiter, den Bergrücken entlang, die sich pelzig aneinanderschmiegen. Seite an Seite wenden sie ihre Hinterteile der Sonne zu, üppigen Matronen gleich, die sich um eine gesunde Farbe bemühen. Die weichen Konturen der Wälder lassen die Steilheit vergessen und zeigen sich von der lieblichen Seite. Wer aber eintritt unter das Blätterdach, weiss, welche unerwarteten Abgründe sich dort auftun und wie beschwerlich der Anstieg ist zu den Monti und
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