Steilufer
stand ein mächtiger roher Holztisch mit zwei langen Bänken, an dem die Küchenmannschaft gemeinsam zu rasten, zu essen und zu reden pflegte. Auf dem Tisch leuchtete ein Strauß weißer Margeriten und blauer Glockenblumen. Für Anna waren die harmonische Gestaltung und die kleinen, persönlichen Akzente in ihrer Küche unverzichtbar. Kochen war für sie mehr als bloße Nahrungszubereitung. Es erforderte Fantasie, Kreativität, Improvisationstalent und das klappte am besten, wenn sie sich wohl fühlte, im Einklang mit sich und ihrer Umgebung stand. Schließlich verbrachte sie hier einen großen Teil ihrer Lebenszeit. Am Abend, wenn das Restaurant voll war, zählten natürlich nur die geschickte Aufteilung des Raumes und die praktische Anordnung der verschiedenen Arbeitsplätze – dann hatte niemand einen Blick für die Umgebung, alles und alle mussten dann nur reibungslos funktionieren.
»Wohin damit?«
Matthias, der Lehrling, stand mit dem üblichen unbewegten Gesicht in der Tür, zwei große Holzkisten vor sich hertragend.
»Was ist denn in den Kisten, Matte?«, fragte Anna ihn freundlich.
»Weiß nicht. Irgendwelche Meeresschweinereien. Schnecken. Keine Ahnung.«
»Ah, bien.«
Anna warf einen Blick in die Kisten und untersuchte neugierig ihren Inhalt.
»Das sind Wellhornschnecken und das sind Napfschnecken. Wunderbar! Bring sie hier in die Küche. Du kannst sie nachher gleich säubern und vorbereiten und erleben, wie ich meine delikaten Schneckenküchlein zubereite!«
Ohne Annas Begeisterung zu teilen, stellte der Junge die Kisten neben dem geräumigen Edelstahlbecken ab und verschwand wieder im Flur. Einen Moment später waren von dort ein Rumpeln und sogleich laute Stimmen zu hören. Ein Schwall arabischer Laute, aus deren Aufgeregtheit und Lautstärke Anna schloss, dass es sich um Schimpfworte handelte und dazwischen Matthias, der auch nicht gerade höflich darauf antwortete. Anna sah aus der Küchentür.
Matthias war in dem engen Flur mit dem schmalen, kleinen Hadi zusammengestoßen, der gerade drei Eimer Crème fraîche in die Kühlkammer tragen wollte. Nun lagen die Gefäße am Boden und aus dem einen Eimer, der beim Sturz beschädigt worden war, floss der fette, weiße Inhalt auf die Fliesen. Hadis dunkle Hose hatte auch mehrere Spritzer abbekommen. Mit großen Gesten zeigte der kleine Algerier immer wieder darauf und machte offensichtlich Matthias dafür verantwortlich.
»Lass doch endlich das Gejaule, ich versteh sowieso kein Wort! Selbst schuld, wenn du nicht aufpassen kannst, Terrorist!«
»Na, na, Matte! Wie redest du denn mit deinem Kollegen? Das ist doch alles gar nicht so schlimm. Ihr beide beseitigt jetzt die Spuren eures kleinen Zusammenstoßes und das wars«, versuchte Anna die Gemüter zu beruhigen, doch Matthias schnaubte aufgebracht:
»Der soll erst mal mit seinem Gesabbel aufhören!«
»Dein Kollege heißt Hadi, Matte! Und du gehst jetzt einen Eimer Wasser, Putzmittel und Lappen holen, los!«, unterbrach ihn Anna bestimmt und schob ihn energisch beiseite. Da Hadis Deutschkenntnisse über das im Arbeitsalltag Notwendige nicht hinausreichten, schon gar nicht in diesem Zustand von Erregung, wandte sie sich auf Französisch an den anderen Streithahn.
»Warum regst du dich so auf, Hadi? Es ist doch nichts weiter passiert! Ihr macht das jetzt sauber und die Sache ist erledigt.«
In dem typisch gefärbten Französisch der Nordafrikaner beschwerte sich Hadi aufgeregt, dass er oft und immer wieder Probleme in der Zusammenarbeit mit Matthias habe, der sich nichts von ihm sagen lassen wolle, wenn er Fehler mache und alles auf ihn schiebe, wenn etwas schief gehe. In seinen dunklen Augen waren Wut und Trauer, als er ruhiger hinzufügte:
»Wir sind nur Kollegen. Er muss nicht mein Freund sein. Aber er beleidigt mich. Er sagt, ich soll doch zurück in meine Heimat, wenn es mir hier nicht passt. Er nennt mich Terrorist. Er weiß gar nichts. Meine Familie ist von Terroristen getötet worden. Was in unserem Dorf noch nicht zerstört war, hat die Armee erst geplündert, dann zerstört.« Hadi brach ab und sah Anna an. Er wiederholte leise:
»Er weiß gar nichts.«
Und in diesem Satz lagen so viel Schmerz und Verzweiflung, dass Anna erst gar nicht wusste, was sie darauf sagen sollte.
»Du hast recht – er weiß nichts«, versuchte sie schließlich zu trösten, »er meint das bestimmt nicht so. Matte hat vor allem Probleme mit sich selbst. Er ist eben noch nicht so richtig erwachsen.«
Anna
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