Stein und Flöte
nicht alles haben?«
Lauscher blickte ihr in die Augen. War das schon alles, was er hier gefunden hatte? Er versuchte sich an die letzten Worte des alten Beutereiters zu erinnern, aber sie fielen ihm nicht ein.
»Du hast dir noch keinen Stein ausgesucht«, sagte Gisa.
Lauscher wählte einen dunkelblauen Saphir. »Er hat die Farbe deiner Augen«, sagte er zu ihr und spürte, wie der Stein hart und kalt in seiner Hand lag.
Der Aufseher im Wolfspelz blieb nicht der einzige dieser Art, dem Lauscher in den folgenden Wochen begegnete. Überall im Tal waren diese Männer anzutreffen und sorgten dafür, daß Gisas Anordnungen befolgt wurden. Sie trieben die Bauern zur Arbeit an, überwachten die Handwerker in den Dörfern, und der älteste von ihnen, ein grauhaariger Riese, dessen steinerne Miene nie eine Gemütsbewegung verriet, war Gisas Schloßverwalter und hatte die Dienerschaft unter sich.
Diese Männer sahen einander merkwürdig ähnlich: Alle hatten das gleiche borstige, graubraune Haar, die gleichen gelblichen Augen, und ihre Jacken aus Wolfspelz legten sie nie ab, wie warm das Wetter auch sein mochte. Sonderbar erschien es Lauscher auch, daß diese Knechte Gisas als einzigen Schmuck ein Lederband mit einem blauen Saphir um den Hals trugen. Mit der Zeit fiel ihm auf, daß er keinen von ihnen je lachen sah. Ihre Gesichter wirkten zumeist mürrisch, und manchmal zuckte eine jähe Wildheit über ihre Mienen. Ihrer Herrin schienen sie auf eine geradezu hündische Weise ergeben zu sein. Schweigend und ohne Rückfrage folgten sie ihren Befehlen und wagten kaum, ihr in die Augen zu blicken.
Lauscher hatte nie gesehen, daß einer der Gelbäugigen bei einer Arbeit selbst mit Hand anlegte. Sie schienen ständig in einem angespannten Trab unterwegs zu sein, schlichen auf leisen Sohlen durch die Gänge, traten unhörbar ins Zimmer, so daß Lauscher sich von den lauernden Blicken ihrer gelben Augen ständig beobachtet fühlte. Nur am Abend verschwanden sie, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Lauscher war jedenfalls noch keinem dieser Wolfspelze nach Sonnenuntergang begegnet, weder draußen im Freien noch innerhalb der Schloßmauern.
Anfangs überkam ihn stets ein unbehagliches Gefühl, wenn einer dieser Männer in der Nähe war. Als er jedoch Tag für Tag sah, wie unbefangen Gisa mit ihren Knechten umging, sagte er sich schließlich, daß man wohl ohne Leute dieser Art nicht auskommen konnte, wenn man ein so weites Gebiet wie das Tal von Barleboog beherrschen wollte. Und für Ordnung sorgten Gisas Knechte, das mußte man ihnen lassen. Sie verstanden, sich Respekt zu verschaffen; das sah man schon daran, wie die Diener im Schloß oder die Bauern auf dem Feld sich ängstlich duckten, wenn einer der Gelbäugigen vorüberkam.
Lauscher ritt oft mit Gisa durch das Tal. Sie jagten zusammen in den Wäldern, und Lauscher übte sich im Bogenschießen, um Gisa in nichts nachzustehen; denn sie verstand eine Maus auf hundert Schritt mit dem Pfeil an den Boden zu nageln. Als sie eines Tages von der Jagd heimritten, merkte Lauscher, daß sein Pferd lahmte. Er stieg ab und untersuchte die Hufe, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Auch Gisa hatte ihr Pferd gezügelt und wartete ungeduldig neben ihm. »Steig auf und gib dem Gaul die Sporen!« sagte sie. »Dann wird ihm das Hinken schon vergehen.« Lauscher schüttelte den Kopf. »Ich will das Pferd nicht zuschanden reiten«, sagte er. Gisa lachte nur und sagte: »Was ist schon ein Pferd! Ich habe genug Rösser im Stall stehen.«
Doch für Lauscher war dies nicht irgendein Pferd. Diese Fuchsstute hatte er geritten, seit er auf Gisas Schloß gekommen war, und er mochte das Tier gern. Also nahm er es beim Zügel und begann es langsam weiterzuführen. Da gab Gisa zornig ihrem Pferd die Peitsche und jagte allein über Wiesen und Äcker auf das Schloß zu.
Lauscher beeilte sich nicht auf diesem Heimweg. Er war sich bewußt, daß Gisa wieder einmal Härte von ihm erwartet hatte, aber er brachte es nicht übers Herz, diesem wehrlosen Tier unnötig Schmerzen zuzufügen. Bis er ins Schloß kam, würde Gisas Zorn schon verraucht sein, hoffte er. Was den Umgang mit der Dienerschaft betraf, konnte Gisa mit ihm schon zufrieden sein. Es gelang ihm zwar noch immer nicht, seine Stimme zu der von ihr gewünschten Lautstärke zu erheben, aber er hatte sich schon recht gut daran gewöhnt, Befehle zu erteilen und keinen Zweifel daran zuzulassen, daß er seinen Willen auch durchzusetzen
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