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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Vortrupp des Feindes. Der Große Brüller beschloß, der Reiterhorde in einer Waldschlucht aufzulauern, die sie passieren mußte, wenn sie nach Fraglund vorstoßen wollte. Er legte Bogenschützen in einen Hinterhalt, und als die Reiter mitten zwischen ihnen waren, schossen die Fraglunder ein paar von ihnen aus den Sätteln. Doch auch die Beutereiter verstanden sich aufs Bogenschießen, und so fehlten einige der Fraglunder Männer, als die Reiter in wilder Flucht davongeprescht waren und der Große Brüller das Zeichen zum Sammeln gab.
    »Jetzt fängt deine Arbeit an«, sagte er zu Lauscher. »Suche das Gebüsch nach Verwundeten ab!« Lauscher schlug sich ins Dickicht, fand im Unterholz drei tote Männer aus Fraglund und stieß dann auf einen verwundeten Beutereiter, der, einen Pfeil in der Brust, am Fuße einer Eiche lag. Es war ein alter Mann. Sein graues, strähniges Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die ihm über die Schultern hingen, und auf Kinn und Oberlippe sprießte ein dünner, fädiger Bart. Als Lauscher versuchte, den Pfeil aus der Wunde zu ziehen, schlug der Alte die Augen auf und schüttelte den Kopf.
    Lauscher sah selbst, daß hier nicht mehr zu helfen war. Er nahm seine Wasserflasche vom Gürtel und setzte sie dem Mann an die Lippen. Nachdem er getrunken hatte, schaute ihm der Alte ins Gesicht und sagte: »Du bist doch einer von den Leuten des Großen Brüllers.«
    »Ich bin sein Sohn«, sagte Lauscher.
    »Warum kümmerst du dich um einen sterbenden Beutereiter, den deine eigenen Leute vom Pferd geschossen haben?« fragte der Mann.
    »Ich bin mitgezogen, um für Verwundete zu sorgen«, sagte Lauscher. »Es ist mir gleichgültig, zu welcher Partei sie gehören.«
    »Einen merkwürdigen Sohn hat der Große Brüller«, sagte der Alte.
    »Ich bin wohl eher von der Art meines Großvaters«, sagte Lauscher.
    »Und wer ist das?«
    »Du wirst ihn nicht kennen. Man nennt ihn den Sanften Flöter.«
    »Vor vielen Jahren habe ich den Klang seiner Flöte gehört«, sagte der Mann. »Ich bin alt und habe viel erfahren. Aber das nützt mir jetzt nichts mehr. Vielleicht hätte ich in seiner Nähe bleiben sollen. Sag ihm das von mir, wenn du ihn siehst.«
    »Ich kenne ihn selber nicht«, sagte Lauscher. »Aber ich will es ihm ausrichten, wenn ich ihn einmal treffe. Wie soll ich dich nennen?«
    »Grüße ihn von Arni mit dem Stein«, sagte der Alte. Er fing an, in einem Lederbeutel zu kramen, der ihm am Gürtel hing, und zog einen runden, glatten Stein hervor. Eine Zeitlang hielt er ihn in der Hand, und während er ihn anschaute, glätteten sich die scharfen Falten um seinen Mund, als sei er plötzlich frei von Schmerzen, seine Züge entspannten sich mehr und mehr, und Lauscher sah mit Verwunderung, daß dieser Sterbende heiter, ja fast fröhlich zu sein schien. Seine Augen waren die eines jungen Mannes, als er wieder zu Lauscher aufblickte und ihm den Stein hinhielt.
    »Nimm das«, sagte er, »zum Dank, daß du mich nicht allein im Gebüsch hast verrecken lassen.«
    Lauscher nahm den Stein und betrachtete ihn. Er war glattgeschliffen wie ein Bachkiesel, halb durchscheinend und schimmerte in dunklen Farben zwischen Grün, Blau und Violett. Als er ihn gegen das Licht hielt, sah er, daß die Farben in dem Stein einen Strahlenring bildeten wie die Iris in einem Auge.
    Der Alte lag jetzt im Sterben. Er schlug noch einmal die Augen auf und murmelte etwas. Lauscher beugte sich herab und hörte den Sterbenden raunen:
    »Suche den Schimmer,
    suche den Glanz,
    du findest es nimmer,
    findst du’s nicht ganz.«
    »Was soll ich suchen? Was soll ich finden?« fragte Lauscher.
    »Du wirst schon sehen«, murmelte der Alte. »Heb ihn gut auf, den Augenstein. Aber vergiß nie: Das ist noch nicht alles.«
    Und dann starb er.
    Die nachfolgenden Ereignisse sind für diese Geschichte ohne Belang und auch sonst nicht des Erzählens wert. Immer wieder geschieht das gleiche, wenn Männer einander totschlagen. Es genügt zu sagen, daß es dem Großen Brüller gelang, die Beutereiter von Fraglund fernzuhalten und daß er schließlich mit seinen Männern – von denen jetzt allerdings einige fehlten – nach Fraglund zurückkehrte, wo bald alle wieder ihren Geschäften nachgingen, soweit sie durch abgehauene Glieder nicht daran gehindert wurden.
    Lauscher hatte seit jenem Tag, an dem ihm der sterbende Beutereiter den Augenstein geschenkt hatte, wie in einem wüsten Traum gelebt, und es wollte ihm auch nach seiner Rückkehr nicht recht

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