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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wie ein unsichtbares Netz sichert: Ich falle jetzt leicht, angenehm, die Arme ausgestreckt, das Gesicht nach unten, den ganzen Körper entspannt. Wie schön sie ist! Ich stürze weiter, und das Muster zersplittert; das Meer ist plötzlich voller metallener Splitter und Scherben, die durch das dunkle Blaugrün wie grelles Gold schimmern; dann, als ich vielleicht tausend Meter tiefer bin, formiert sich das Muster plötzlich wieder. Erneut ein kolossales Gesicht. Ich begrüße Irenes Rückkehr, aber nein, das Gesicht ist das Gesicht von April, meiner stummen Traurigen. Ein gehetztes Gesicht, ein Gesicht voller Schatten: schwarze, entsetzte Augen, bebende Nasenflügel, eingefallene Wangen. Über der schmalen Unterlippe ist ein Schneidezahn halb sichtbar. Oh, meine arme, süße Taciturna. Nadeln widergespiegelten Sonnenlichts glitzern in ihrem ausgebreiteten, im Wasser schwimmenden Haar. Aprils Erscheinung ersetzt heitere Gelassenheit durch Turbulenz; wieder stürze ich unkontrolliert, wieder bin ich in der kosmischen Zentrifuge, der Atem wird mir vom Mund gerissen, und an meinem fallenden Körper fegt eine schreckliche Kälte vorbei. Verzweifelt ringe ich um Haltung und Gleichgewicht. Ich erringe sie endlich und blicke hinunter. Das Muster ist wieder zerfallen; wo April gewesen ist, sehe ich nur parallel verlaufende Streifen bernsteinfarbenen Lichts, verzerrt von wabernden Brechungen. Winzige weiße Punkte – Inseln, nehme ich an – sind im funkelnden Meer jetzt sichtbar.
    Was für eine seltsame Ähnlichkeit manchmal zwischen April und Irene besteht!
    Wie verwirrend für mich, sie zu verwechseln. Wie gefährlich für mich.
    – Das ist die riskanteste Therapie, die Sie sich aussuchen konnten, Doktor Bjornstrand.
    – Riskant für mich oder riskant für sie?
    – Riskant für Sie wie für Ihre Patientin, würde ich sagen. – Und was ist sonst neu?
    – Sie haben mich um eine unparteiische Beurteilung gebeten, Doktor Bjornstrand. Wenn Sie meine Meinung nicht akzeptieren wollen –
    – Ich schätze Ihre Meinung sehr, Erik.
    – Aber Sie werden die Therapie wie geplant durchführen?
    – Natürlich.
    Das ist der Augenblick des Aufpralls.
    Ich treffe ideal im Wasser auf und durchschneide die glänzende Oberfläche des Meeres mit chirurgischer Präzision, tauche fünfzig Meter tief, achtzig, hundert, schieße glatt durch die Haut und die darunterliegende kräftige Muskulatur des Ozeans. Sehr gut gemacht, Dr. Bjornstrand. Gute Note für die Form.
    Vielleicht ist das tief genug.
    Ich drehe mich, stoße mich ab, greife nach der Helligkeit über mir. Ich begreife, daß ich mich vielleicht überanstrengt habe. Meine Lunge brennt, und der Himmel, vor noch so kurzer Zeit meine Heimat, scheint entsetzlich weit weg zu sein. Aber mit kraftvollen Stößen ziehe ich mich hinauf und schnelle in die Luft wie ein störrischer Korken.
    Ich treibe einen Augenblick lässig und hole Atem. Dann schaue ich mich um. Das grimmige Auge der Sonne betrachtet mich aus einer Spätvormittagshöhe. Das Meer ist warm und sanft, verführerisch wogend. Nur einige hundert Meter entfernt eine Insel: ein einladender Strand aus hellem Sand, eine Reihe schlanker Palmen dahinter. Ich schwimme darauf zu. Als ich mich dem Ufer nähere, machen die bodenlosen dunklen Tiefen einem herausragenden Unterwasser-Sandschelf Platz, und die Farbe des Meeres wandelt sich von Dunkelblau zu Hellgrün. Trotzdem dauert es länger, das Land zu erreichen, als ich erwartet habe. Vielleicht war meine Einschätzung der Entfernung zu optimistisch; trotz meiner Bemühungen scheint die Insel nicht näherzurücken. In manchen Augenblicken scheint sie sogar vor mir zurückzuweichen. Meine Arme werden schwer. Meine Schwimmstöße verlieren an Kraft. Ich keuche, ächze, spucke; hinter meiner Stirn pulsiert etwas. Aber plötzlich sehe ich direkt unter mir sonnengestreiften Sand. Meine Füße berühren den Grund. Ich wate erschöpft an Land und falle am Strand auf die Knie.
    – Darf ich Sie April nennen, Miss Lowry?
    – Wie Sie wollen.
    – Ich glaube nicht, daß das eine sehr bedrohliche Stufe intimer Beziehungen zwischen Arzt und Patientin ist, nicht wahr? – Kaum.
    – Zucken Sie bei jeder Antwort die Achseln?
    – Das ist mir noch nicht aufgefallen.
    – Sie zucken die Achseln. Sie vermeiden es auch angestrengt, irgendeinen Gesichtsausdruck zu zeigen. Sie versuchen, ganz unerforschlich zu sein, April.
    – Vielleicht fühle ich mich so sicherer.
    – Aber wer ist der Feind?
    –

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