Steinbock-Spiele
Therapeut Richard Bjornstrand begann am dritten August 1987 mit seiner experimentellen Behandlung von Miss April Lowry. Binnen fünfzehn Tagen war der Ort der Störung lokalisiert, und Dr. Bjornstrand empfahl Bewußtseinsdurchdringungs-Behandlung, eine Methode, die in den Vereinigten Staaten immer beliebter wird. Miss Lowrys Arzt war zunächst gegen den Vorschlag, weitere Konsultationen zeigten jedoch den potentiellen Wert eines solchen Vorgehens, und am neunzehnten September wurden die Eingangsprozeduren eingeleitet. Wir erwarten im Verlauf des Unternehmens weitere Berichte von Dr. Bjornstrand.
»Aber was ist, wenn du dich in sie verliebst?« fragte Leonie.
»Na und?« sagte ich. »Therapeuten verlieben sich dauernd in ihre Patientinnen. Reich hat eine seiner Patientinnen geheiratet, Fenichel auch, und Dutzende der ersten Analytiker hatten Affären mit ihren Patienten, ja, sogar Freud, bei dem es das nicht gab, hat mehrmals bemerkt –«
»Freud hat vor langer Zeit gelebt«, sagte Leonie.
Ich bin jetzt um die ganze Insel herumgegangen. Die Umrundung nahm vier Stunden in Anspruch, schätze ich, weil die Sonne fast senkrecht am Himmel stand, als ich anfing, und jetzt mehr als den halben Weg zum Horizont zurückgelegt hat. In diesen Breiten kommt der Sonnenuntergang wohl ziemlich früh, vielleicht gegen halb sieben Uhr, selbst im Sommer.
Während meiner ganzen Wanderung an diesem Nachmittag blieb die Insel auf einem geraden Kurs, eine Seite ständig der offenen See zuwendend, die andere dem dunklen Bergufer. Trotzdem ist sie weitergetrieben, denn in der Lage der Berge relativ zur Insel gibt es kleinere Schwankungen, und das Ufer selbst scheint mit der Zeit näherzurücken. (Wiewohl das eine Illusion sein mag!) Gesichter tauchen auf, verschwinden, tauchen wieder in den unteren Bereichen des Himmels auf, ohne ein vorhersehbares Schema des Ablaufs oder der Identität: April, Irene, April, Irene, Irene, April, April, Irene. Manchmal lächeln sie mich an. Manchmal tun sie es nicht. Ich glaubte, ein Zwinkern von Irene gesehen zu haben; ich schaute noch einmal hin, und das Gesicht gehörte April.
Die Insel besitzt, obwohl sie sehr klein ist, verschiedene deutlich unterscheidbare geographische Zonen. Auf der Seite, wo ich an Land gekommen bin, steht eine Reihe von Palmen eng beieinander, Krone an Krone, und hinter ihr senkt sich der Strand zum Meer. Ich habe diese Seite der Insel willkürlich Osten getauft. Die Westseite liegt tiefer und ist vertrocknet, die Vegetation ein verfilztes Dickicht. An der Nordseite befindet sich ein hoher Korallenkamm, platt an der Front, steil ins Wasser abfallend. Weiße Wellen klatschen unermüdlich an die abgerundeten Spitzen und Kuppeln der narbigen Korallenwand. Das Südufer der Insel besitzt Dünen, durchaus saharaähnlich, deren gelblichrote Kämme sich beim Hinsehen geringfügig verschieben. Landeinwärts erhebt sich die Insel zu einem Gipfel etwa fünfzig Meter über dem Meer, und hier im porösen, verwitterten Kalkstein gibt es offenbar tiefe Mulden mit Regenwasser, denn die Vegetation ist vielfältig und üppig. An mehreren Stellen stoße ich kurz ins Innere vor, stehe vor einem Sumpfgebiet mit glucksendem Treibsand; an einer anderen Stelle komme ich zu einer kühlen, dunklen Waldlichtung, durchzogen von den Tunnels und Hügeln der Termiten, an einer dritten zu einem Wäldchen kleiner, früchtetragender Bäume mit weitreichenden Ästen.
Im ganzen genommen ist die Insel sehr schön. Ich werde genug zu essen und zu trinken haben, und es gibt Unterschlupf. Trotzdem sehne ich mich schon nach einem Ende der Reise. Die nackten, spitzen Berge des Festlandes rücken immer näher; eines Tages werde ich das Ufer erreichen, und meine eigentliche Arbeit kann beginnen.
Das Wesen dieser Art von Therapie ist das Risiko. Der Therapeut muß darauf vorbereitet sein, Kräften zu begegnen, die die seinen weit übertreffen, und sie mit dem Wissen anzugehen, daß sie leicht über ihn triumphieren könnten. Die Patientin dagegen muß die Erkenntnis akzeptieren, daß das Eindringen des Therapeuten in ihr Bewußtsein weitreichende Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen kann, die nicht alle zum Besseren ausschlagen müssen.
Ein verwirrender Tag. Die Morgendämmerung war rotgefleckt von purpurnen Venen – ein gedunsener, grotesker, verletzter Himmel. Dann kam starker Wind auf; die Palmen bebten und schwankten, und große Wedel wurden abgerissen. Eine Flaute folgte. Ich fürchtete umstürzende Bäume
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