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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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peitschen biegsame Ausläufer der Insel selbst die See und treiben mich stetig auf das Festland zu. Breitblättrige Schattenbäume machen die Hitze des Tages erträglicher. Auf meinen Befehl springen Frischwasserquellen aus dem Sand, kühl und funkelnd.
    Mit der Zeit dehne ich meinen Einflußbereich über die Ausdehnung der Insel hinaus aus. Ich habe innerhalb eines Riffs eine haifreie Zone geschaffen. Dort schwimme ich völlig ungefährdet, und wenn ich Hunger bekomme, ziehe ich mit den Händen willige Fische heraus.
    Ich bilde aus Wolken Abbilder: April, Irene. Ich simuliere die Züge von Doktor Richard Bjornstrand am Himmel. Ich führe April und Irene zusammen, und sie verschmelzen, sie werden eine einzige Frau.
    Der Küste nah. Noch ein, zwei Tage, und ich werde dort sein. Das ist das Festland. Ich lenke meine Insel in einen weiten, halbmondförmigen Hafen, überschattet von den großen, nackten Bergen, die sich wie zugefeilte schwarze Zähne aus dem nahen Inneren erheben. Die Insel schiebt ein dickes Holskabel hinaus, das sie an ihrem Platz verankert; das Kabel als Laufplanke benutzend, gehe ich an Land. Die Luft ist hier kühler. Die Vegetation ist spärlich und kakteenartig: dicke, fleischige, dornenbesetzte Fässer meist, größer als ich. Ich schlage mit einer Stange auf eines der Gewächse, und eine blaßrote Flüssigkeit rinnt heraus: Ich probiere, und das Getränk ist kühl, süßlich, ein wenig berauschend.
    Der Kakteensaft ernährt mich während meines fünftägigen Marsches zum Gipfel des nächsten Berges. Nackte Sohlen klatschen auf nacktes Gestein. Hitze am Tag, Mondkälte in der Nacht; die Felsblöcke klirren nachts, wenn die Wärme sie verläßt. Hinter mir dehnt sich sie See, unendlich, stumm. Die Luft flirrt von den stirnrunzelnden Gesichtern von Frauen. Ich steige in einer Spirale langsam hinauf, ruhe mich oft aus und treibe mich weiter, bis ich endlich auf dem höchsten Grat der Kette stehe. Auf der Landseite fällt der Berg steil ab in ein gequältes, unregelmäßiges Tal, übersät mit Steinblöcken und eisig, durchzuckt von glitzernden weißen Seen gleich so vielen Narben. Dahinter eine Zone niedriger, brustförmiger Hügel, dicht bewaldet, hinabführend in ein zentrales Tiefland, aus dem sich eine pulsierende Lichtfontäne erhebt – gezackte, irisierende Blitze aus Blau und Gold und Grün und Rot, die in die Luft schießen, verblassen und verschwinden. Ich wage nicht, mich der Fontäne zu nähern; ich weiß, daß ich in ihrem Flammenglanz verzehrt werde, denn dort hat das Wesen Aprils sein Lager, der barbarische Seelenkern, der nie von einem anderen betreten werden darf.
    Ich wende mich meerwärts und schaue nach links, die Küste entlang. Zuerst sehe ich nichts Besonderes: eine Reihe bogenförmig gezackter Buchten, einige Streifen sandiger Strand, eine weiße Brandungslinie, ein Schwarm dunkler Vögel im Flug. Aber dann entdecke ich weit vorne an der Küste etwas Bemerkenswerteres: Zwei lange, schmale Vorgebirge recken sich vom Festland wie gekrümmte Finger hinaus, Daumen und Zeigefinger, aufeinanderz urückend, und in dem weiten Golf zwischen ihnen brodelt die See wild, als koche sie. Im Wirbel der Unruhe herrscht jedoch Ruhe. Da! Da ist Charybdis! Der Mahlstrom!
    Ich würde Tage brauchen, ihn über Land zu erreichen. Der Seeweg ist schneller. Die Hänge hinabeilend, kehre ich zu meiner Insel zurück und durchtrenne das Kabel, das sie mit dem Ufer verbindet. Auf perverse Weise wächst es wieder nach. Ein bösartiger Einfluß negiert meine Macht. Ich trenne; das Kabel schließt sich wieder zusammen. Ich trenne; es vereinigt sich. Wieder, wieder, wieder. Aufgebracht verursache ich einen Riß durch die Insel von einem Rand zum anderen, wo mein Kabel verwurzelt ist; das ganze Segment um diesen Anker löst sich und bleibt zurück im Hafen, während der Rest der Insel auf das offene Meer hinaustreibt.
    Warte. Der Prozeß der Spaltung setzt sich aus Eigenem fort. Die Insel kalbt wie ein Gletscher, zerfällt, und riesige Bruchstükke treiben davon. Ich springe verzweifelt über gähnende Schlünde, halte mich immer auf dem größten Sektor, mühe mich, mein schwimmendes Heim neu aufzubauen, bis ich begreife, daß nichts Wesentliches von der Insel bleibt, nur ein ständig schrumpfendes Floß aus Korallengestein, das sich halbiert und wieder halbiert. Meine Insel hat jetzt nicht mehr als zehn Quadratmeter. Fünf. Weniger als fünf. Verschwunden.
    Das Meer habe ich immer gefürchtet. Diese große,

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