Steinbock-Spiele
schimmerndes Bild überschwemmt die flammende Atmosphäre. Ich habe ein fortwährendes Erstickungsgefühl; eine schreckliche Trägheit überkommt mich; ich erflehe Orkane, Regengüsse, Umwälzungen des Meeresbodens, irgendeinen Ausbruch, der die barbarische, klaustrophobische Spannung löst.
Ist Irene meine Frau? Meine Geliebte? Meine Begleiterin? Meine Freundin? Meine Schwester?
Ich bin in Aprils Bewußtsein, und Irene ist eine Erfindung.
Ich bin auf den Gedanken gekommen, daß das eher eine Therapie für mich als für April sein könnte.
Ich habe mich darangemacht, Maschinen herz ustellen, die mich zum Festland zurückbringen sollen. Diese ganze Woche habe ich mühselig Palmen gefällt, mit einer Reihe von weichen, stumpfen Handbeilen, aus toter Koralle geschlagen. Nachdem ich die Bäume zu einer vorgelagerten Stelle am Südende der Insel geschleppt hatte, verknüpfte ich sie locker mit Ranken und legte sie ins Wasser, so daß sie wie die Ruder einer Galeere auf beiden Seiten herausragten. Wenn ich an einer ungewöhnlich dicken Liane zerre, die mitten durch die ganze Konstruktion verläuft, bin ich tatsächlich in der Lage, sie wie Ruder zu betätigen, und ich habe die Hauptranke an einer außergewöhnlich dicken Palme befestigt, die sich aus dem Hauptkamm des Vorgebirges erhebt. Was ich im Grunde gebaut habe, ist eine Art Kolbenmaschine; die Strömungen, von denen die Wipfel meiner gefällten Palmen bewegt werden, vermitteln den Ranken dazwischen eine Spannung, und der Widerstand des riesigen Zentralbaumes auf den Zug der Hauptranke veranlaßt die gefällten Bäume, durch das Wasser zu streichen und die ganze Insel küstenwärts zu schieben. Durch zweckbestimmtes Handeln, sagt Goethe, rechtfertigen wir unser Dasein vor dem Angesicht Gottes.
Die ›Riemen‹ funktionieren gut. Ich bin wieder unterwegs zum Festland.
Ich bin mit großer Geschwindigkeit unterwegs zum Festland. Zu schnell, wie es scheint. Ich glaube, daß ich in eine mächtige Strömung geraten bin.
Die Strömung hat meine Insel eindeutig erfaßt, und ich werde schnell mitgerissen, ob ich will oder nicht. Ich nähere mich dem Eiland, wo Skylla wartet. Das ist gewiß Skylla: das Wesen, das unmittelbar vor mir wartet. Ein Ausweichen ist nicht möglich; die Kraft des Wassers ist unerbittlich, meine hilflosen Riemen hängen schlaff herab. Das Ungeheuer mit den vielen Hälsen sitzt ganz offen auf einem nackten Felsen, in sich zusammengerollt, wartend. Wo soll ich mich verbergen? Soll ich ins Dickicht kriechen und dort kauern, bis ich vorbei bin? Schau da: sechs Häupter, jedes mit drei Reihen spitzer Zähne, und zwölf Schlangenglieder. Ich könnte mich wohl verbergen, aber wie feige wäre das, wie nutzlos. Ich werde mich ihr zeigen. Ich stehe exponiert am Strand. Ich lausche ihrem gefürchteten Bellen. Wie kann ich mich gegen Skyllas Gebisse schützen? Irene lächelt aus den niedrigen, flauschigen Wolken. Es gibt einen Weg, scheint sie zu sagen. Ich greife nach einer Wolke und forme sie zu einem Abbild meiner selbst. Sieh: hier steht ein zweiter Bjornstrand, sonnenverbrannt, halbnackt. Ich stelle eine zweite Kopie her, eine dritte, vollständig bis zum Bart, vollständig bis zu den Hautunreinheiten. Ein Dutzend von ihnen. Passiv, leer, seelenlos. Werden sie sie täuschen? Wir werden sehen. Das Bellen wird immer heftiger. Sie ist nah. Meine Insel fegt durch die Rinne. Schlag zu, Skylla! Schlag zu! Die langen Hälse heben und senken sich, heben und senken sich. Ich höre die Schreie meiner anderen Ichs; ich sehe ihre Arme und Beine wirbeln, als sie sie packt und hochhebt. Sie verschlingt sie. Ich treibe gesichert an der gräßlichen Bestie vorbei. Aprils Gesicht, unendlich oft im blauen Gewölbe über mir vervielfältigt, lächelt. Ich habe durch diese Begegnung an Macht gewonnen. Ich brauche mich nicht mehr zu fürchten; ich bin unverwundbar geworden. Tu, was du willst, Ozean! Bring mich zu Charybdis. Ich bin bereit. Ja. Bring mich zu Charybdis.
Das Ganze, hat D. H. Lawrence geschrieben, ist eine sonderbare Ansammlung scheinbar nicht zusammenpassender Teile, die aneinander vorbeigleiten. Ich gebe ihm recht. Aber die Unvereinbarkeit ist weniger real als scheinbar, sonst gäbe es kein Ganzes.
Ich glaube, ich habe die Insel jetzt völlig unter Kontrolle. Ich kann sie nach meinen Bedürfnissen umkonstruieren, und ich habe sie in Stromlinie gebracht, schiffsförmig, spitz am Bug, breit am Heck. Meine Anhäufung gefällter Palmen ist ersetzt; jetzt
Weitere Kostenlose Bücher