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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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echt sein.
Darum war es hier so wichtig, daß die geplanten Zerstörungen an Gebäuden und
Natur, das Verpulvern finanzieller Mittel, die zwangsläufige Verschmutzung von
Luft und Grundwasser keinem wirklichen Nutzen dienen durften. Sie mußten
zweckfrei bleiben, um die Verschwendung in absoluter Reinheit darstellen zu
können. Das, was an dieser Stelle entstehen sollte, war schlichtweg ein
Kunstwerk zu nennen, nicht wegen der überholten Architektur und kindischen
Animationen, sondern weil es den unverfälschten Willen verkörpern würde. - Man
könnte natürlich meinen, daß die Kunst ins Museum gehört oder beim Überschreiten
gewisser Kosten im Kopf des Künstlers verbleiben soll.
    Doch selbst mit Ironie war die Sache nicht auszuhalten.
Nach und nach mußte Thiel angewidert feststellen, wie sehr im Fall der Stuttgart-21-Planung
das absichtsvolle Unvermögen der Verantwortlichen eine walzerartige
Verbundenheit mit der steten Steigerung der mutmaßlichen Kosten einging. Auf
eine perverse Weise geradezu harmonisch.
    Thiels Widerwillen verfestigte sich vor allem wegen der
millionenschweren Propaganda der Projektbetreiber, einer Propaganda, die gewissermaßen
das Konzept der geplanten Verschwendung durch sich selbst illustrierte.
Ärgerlich, daß diese Millionen nicht aus den Taschen der Betreiber kamen. Aber
was wäre andererseits von einem Künstler zu halten, der seine eigene Kunst
bezahlt?
    Aus einer jener zahlreich produzierten Hochglanzbroschüren
schien auch der herausgerissene Ausschnitt zu stammen, den Rosenblüt da in
seiner Hand hielt. Offensichtlich hatte ihm Uhl auf diese Weise doch noch einen
Hinweis geben wollen.
    Erneut lag dem Kommissar ein schwäbischer Fluch auf der
Zunge - im Schimpfen wird der Mensch zum Heimattier -, aber er schluckte ihn
hinunter. Zurück blieb ein samtiger Geschmack, wie man ihn von der Haut einer
Marille kennt. Es fröstelte Rosenblüt. Er startete den Wagen und fuhr los.
     
    Goethes Dejá-vu
     
    Am Abend desselben Tages saß Rosenblüt in Frau Doktor
Prochers Büro, diesmal allerdings fehlte Svatek. Procher war feierlich
gekleidet. Sie mußte noch auf einen Empfang. Jemand bekam einen Preis. Diese
Preisverteilerei war eine richtiggehende Landplage geworden, ganz egal, ob im
Bereich der Kunst oder Politik oder Wissenschaft. Ein Mensch ohne Preis mußte
sich bereits als Versager fühlen. Umgekehrt war es gar nicht so einfach, der
Preisflut zu entkommen. Es geschah ja nicht nur, daß Leute Preise und
Auszeichnungen erhielten, die sie keineswegs verdienten, sondern manchmal
verdiente der Preis den Preisträger nicht, so daß eine Peinlichkeit für den
entstand, der einen ungeliebten Preis annehmen mußte, um nicht als unfreundlich
zu gelten und irgendwann mit einem Unfreundlichkeitspreis bedacht zu werden.
    Auch Procher hatte bereits drei, vier Preise zu Hause
herumstehen. An diesem Abend aber war sie nur Gast und konnte sich darum Zeit
lassen. Es gab Wichtigeres zu tun. Eine Entscheidung mußte getroffen werden. Im
Grunde war es die übliche Wahl zwischen laut und leise. Zwischen Ermittlung auf
allen Ebenen oder jenen geschickten Interventionen einzelner, die dann fast
privat anmuten, mitunter illegal, sosehr sie von oben gedeckt sein mochten.
    Procher vergabelte ihre Finger zu einer zeltförmigen Haube
und erklärte: "Das ist eine saublöde Geschichte. Solange Uhl nicht bereit
ist, uns eine konkrete Auskunft zu geben, können wir wenig unternehmen, außer
nach denen zu suchen, die den Überfall begangen haben. Eine Erpressung ist
nicht nachweisbar, eine Entführung liegt nicht vor. Es ist schon so, wie Uhl
wohl meint: wenn Opfer und Täter sich arrangieren, stehen wir dumm da. Ich
wüßte ja nicht einmal, welche Abteilung das übernehmen sollte."
    "Na, wenigstens steht fest, daß kein Mord vorliegt.
Ist also nicht unser Bier", erklärte Rosenblüt, der übrigens auch schon
zwei Preise erhalten hatte. Schwer zu sagen, für welchen er sich mehr genierte,
weshalb er auch tunlichst bemüht war, sich diesbezüglich auszuschweigen.
    "Richtig. Ein Mord fehlt. Aber trotzdem ..."
    "Trotzdem was?" fragte Rosenblüt mit einer
Schärfe in der Stimme, die ihm eigentlich nicht zustand.
    Procher überhörte den anmaßenden Ton und erklärte, daß sie
sich in dieser Sache direkt an den Polizeipräsidenten gewandt habe. Man sei
zusammen mit dem Leiter der Abteilung Einsatz zur Überzeugung gelangt, es wäre
am besten, wenn er, Rosenblüt, sich weiter um diesen Fall kümmere. Procher
sagte:

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