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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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nannte sodann vier
Leute, die ihm spontan einfallen würden. Aber da mochte es natürlich noch
einige andere geben, von denen er nichts wußte.
    Einer der vier Namen stach überdeutlich hervor. Rosenblüt
wiederholte ihn: "Lynch?"
    "Ja, stimmt schon", gestand Max. "Klingt
nicht sehr türkisch. Aber ich glaube, dieser Lynch nennt sich so nach einem
amerikanischen Regisseur. Er ist ein verrückter Kinofan. Wenn er redet, weiß
man nicht, ob er sich das selbst ausgedacht hat oder ob es aus einem Film
stammt."
    "Sie scheinen ihn ja ganz gut zu kennen."
    Max verzog sein Gesicht zu einer Beule und erklärte: "Der
ist wirklich nicht mein Freund. Er ist Türke und unberechenbar. Außerdem noch
gebildet. Ein absoluter Besserwisser."
    "Wo finde ich ihn?"
    "Ich brauche nicht zu betonen, daß mein Name nicht
fallen darf?"
    "Nein, das brauchen Sie nicht zu betonen",
versicherte Rosenblüt. Max offenbarte: "Lynch besitzt einen kleinen Laden
in der Goethestraße."
    "Was für einen Laden?"
    "Einen Ramschladen. Im Hinterzimmer aber macht er
seine richtigen Geschäfte. Er führt da ein illegales Wettbüro. Offensichtlich
hat er sich mit Ihren Kollegen arrangiert. Das soll hin und wieder vorkommen,
oder etwa nicht?"
    "Wie heißt der Laden?" fragte Rosenblüt.
    "Dejá-vu."
    "Wieder nicht sehr türkisch."
    "Lynch ist flexibel", warnte Max. "Flexibel
und gefährlich. Seien Sie auf der Hut!"
    "Danke, Max", sagte Rosenblüt. Er meinte den
Cognac, nicht den Rat. Er machte sich daran, das Lokal zu verlassen.
    "Könnten Sie bitte drüben gehen", ersuchte der
Barbesitzer, "dort, wo noch nicht gereinigt wurde."
    Es war ja nicht böse gemeint, weshalb Rosenblüt ihm die
Freude machte.
    Als er nach draußen wechselte, war der morgendliche Dunst
vom Himmel verschwunden. Das Blau war klar und rein. Licht von allen Seiten.
Auf dem Gehweg saß Kepler. Mit Halsband, aber ohne Leine. Natürlich hatte er
kein Schild um, auf dem stand, er sei der Hund eines Kriminalpolizisten. Doch
Rosenblüt war überzeugt, daß so oder so niemand diesen Hund stehlen würde.
Weniger darum, weil Kepler ein wenig fett und ein wenig unförmig war, sondern
seiner Aura wegen. Dieser Hund war eindeutig unstehlbar. Niemand hätte es
gewagt. Jetzt mal abgesehen von der Frage, was ein Vorüberkommender mit diesem
Tier überhaupt hätte anfangen können. Wobei es schon stimmt, daß die meisten
Diebstähle auch ohne Nutzen begangen werden. - Überall auf der Welt werden
Dinge entwendet, die zwar den Beraubten ärmer machen, den Räuber jedoch nicht
reicher. Das ist eins von den vielen Unglücken auf dieser Erde, auf die sich
die Menschen spezialisiert haben.
    Rosenblüt hielt Kepler die Türe zum Wagen auf. Kepler
drehte seinen breiten Hintern eine Weile hin und her, zögerte, war bemüht,
eine Ideallinie anzusteuern, versteifte seinen Schwanz in der Art eines Giftstachels,
nahm sodann einen kurzen Anlauf und sprang auf den Nebensitz. Es war ein guter
Sprung für einen Hund mit solchen Beinen. Beine, die wie Schalldämpfer direkt
an seinen Leib geschraubt schienen.
    "Na, dann fahren wir mal in die Goethestraße und
sehen uns Mr. Lynch an", sagte Rosenblüt und lächelte. Er fühlte sich ganz
gut. Er verfügte über eine Spur, und die war nicht dumm. Denn Uhl hatte ihm ja
erzählt, der anonyme Anrufer habe auf englisch erklärt, daß Uhl, wenn er sich
richtig verhalte, bloß noch einmal von ihm hören werde, wenn aber nicht, es
auch ein zweites Mal geben werde. Über das verschlüsselt Bösartige dieser
Drohung hinaus hatte Rosenblüt sofort den Eindruck gehabt, der Ausspruch sei
ihm vertraut. Ohne ihn freilich zuordnen zu können. Doch in dem Moment, da Max
erwähnt hatte, der Besitzer des Dejá-vus würde sich nach einem amerikanischen
Regisseur "Lynch" nennen, hatte es geklingelt. - David Lynch!
Richtig! Und war es nicht dessen Film Mulholland Drive, wo eine
solche Äußerung fällt? Richtig! Nur daß in diesem Film nicht von "hören",
sondern von "sehen" die Rede ist: "You will see me one more
time, if you do good. You will see me two more times, if
you do bad." Richtig! So lautete der Satz, mittels dessen im
Film eine der Figuren zu der Einsicht gezwungen wird, wieviel es besser wäre,
sich den Wünschen undurchsichtiger und brutaler Mächte zu fügen. So, wie nun
auch Uhl sich zu fügen hatte.
    "Ein Zufall ist das nicht", sagte Rosenblüt zu
Kepler. Er merkte jetzt gar nicht mehr, daß er mit einem Hund redete.
     
    Lynch sah nicht aus wie Lynch. Er war ja auch kein
Amerikaner

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