Steinfest, Heinrich
zudem
begriff, wer hier mit "Kepler" gemeint gewesen war.
"Oh ... das ist... ungünstig", stammelte
Rosenblüt, "aber ich kann wirklich nichts dafür, daß der Hund so heißt."
Und das stimmte ja, wenn auch nicht auf den ersten Blick.
"Bleibt der hier?" fragte Frau Kepler voller
Verachtung für Hunde, die nach Menschen hießen.
"Ja. Ich weiß, daß das mehr Arbeit macht. Aber wir
bezahlen es natürlich."
Doch Frau Kepler erklärte knapp und mit der eindringlichen
Wirkungsweise einer rasch verabreichten Injektionsnadel: "Ich bespreche
das mit Frau Tomita."
"Wie Sie wünschen." Rosenblüt schob seinen Hund
in den Flur hinaus.
"Hör zu, Kepler", sagte er, als sie im Aufzug
standen, "manchmal wäre es gut, sich zu beeilen, ich habe nicht immer
Zeit." Dann dachte er: "Verdammt, jetzt rede ich schon mit dem Köter.
Das sollte ich mir gar nicht erst angewöhnen." Als wäre das möglich.
"Der schaut ziemlich komisch aus", urteilte ein
Kollege aus Rosenblüts Mannschaft. Rosenblüts Sekretärin hingegen beugte sich
zu Kepler hinunter und sprach mit ihm in jener entspannten Art, mit der sich
Frauen nur mit Tieren und schwulen Männern unterhalten: in einer Vertrautheit
allein zur Freude Gottes. Auch vermied sie es vorerst, nach den Umständen zu
fragen, die diesen Hund in dieses Büro geführt hatten, bereitete ihm einen Platz
in der Ecke und kramte ein Leckerli hervor, als züchte sie selbige in ihrer
Handtasche. Zu Rosenblüt sagte sie nur, die Chefin habe nach ihm gerufen. Es
eile.
"Den Hund lass' ich da", erklärte Rosenblüt.
Wie damals bei Lauscher würde dies ohnehin die Regel
werden. Auch Kepler war kein Freund großer und häufiger Bewegungen. Er stand,
saß oder lag. Auf diese Weise füllte er einen bestimmten Raum. Im Moment
kleidete er perfekt die Ecke aus, die Rosenblüts Sekretärin ihm liebevoll
zugewiesen hatte. In solchen Augenblicken besaß Kepler die Wirkung eines
Objekts von Joseph Beuys. Wozu also den Ort wechseln? Nur, um in eine andere,
vielleicht sehr viel schlechtere Ecke zu gelangen?
Menschen freilich fühlen sich von schlechteren Ecken
magisch angezogen. Oder unterliegen dem Sachzwang. Rosenblüt also mußte nach
oben, zu Polizeirätin Doktor Ursula Procher, die fast gleichzeitig mit seiner
Ankunft in München die Leitung des Kriminalfachdezernats übernommen hatte und
deren unnahbare Art Rosenblüt durchaus zu schätzen wußte. Er brauchte keine
gute Freundin als Chefin.
"Die beiden Herren kennen sich ja", sagte
Procher, nachdem Rosenblüt eingetreten war. Die Herren, die sich kannten,
gaben sich die Hand. Bei dem anderen handelte es sich um einen Beamten des
Kriminaldauerdienstes, einen Hauptkommissar Svatek.
Man nahm Platz. Procher lehnte sich zurück und überließ es
dem KDD-Polizisten zu erklären, weshalb man hier zusammengekommen war.
Am Vortag war Svatek von einer Streife angefordert worden.
Zwei Jogger hatten einen fünfzehnjährigen Jungen entdeckt, der nackt am Ufer
der Isar stand, weil er, wie er angab, von einer fünfköpfigen Bande attackiert,
bedroht und sodann ausgezogen worden war. Man hatte ihm eine Beschneidung
angedroht, sich aber auf Grund des Faktums, daß eine solche bereits vorlag,
damit begnügt, ihn verängstigt und gedemütigt und bar seiner Kleider
zurückzulassen.
"Sie können sich denken, wie verstört der Bursche war",
sagte Svatek. "Wir haben ihn nur kurz befragt und dann so schnell wie
möglich nach Hause gebracht. Beide Eltern waren da. Vermögende Leute, aber
weder superreich noch prominent. Die Mutter ist Anwältin, der Vater Geologe,
hat hier einen Lehrstuhl, was Geologisches halt."
Svatek machte eine Pause, wirkte unsicher. Er äußerte, bei
der Sache sofort ein komisches Gefühl gehabt zu haben.
"Komisches Gefühl?"
, Ja, ich weiß schon, mit komischen Gefühlen sollte man
zum Arzt gehen und nicht die Kollegen belästigen."
Rosenblüt nickte. Dieser Meinung war er auch.
Desungeachtet berichtete Svatek weiter, daß die Eltern des
Jungen auf ihn den Eindruck gemacht hätten, als seien sie bereits informiert
gewesen. Nicht aber von der Streife. Bei aller Betroffenheit hätten sie
kontrolliert gewirkt, in der Art von Leuten, die sich abgesprochen haben. Und
deren Ziel es ist, die Polizei soweit als möglich herauszuhalten.
"Ich bitte Sie, Herr Svatek", wandte Rosenblüt
ein, "eine Anwältin und ein Geologe, solche Leute haben sich von Natur aus
im Griff. Da muß schon mehr passieren. Ich kann noch nichts Komisches erkennen.
Das Kind wurde
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