Steinfest, Heinrich
schließlich nicht entführt. Es wurde gequält, das ist sicher
schlimm. Aber solche Überfälle geschehen leider nun mal, das muß ich Ihnen
nicht sagen. Die Jugend spinnt heutzutage."
"Das tut sie, keine Frage. Aber das ist es nicht. Ich
sage Ihnen, die Eltern haben gewußt, daß wir
kommen und ihren Sohn bringen. Sie kennen mich, Rosenblüt, ich bin kein
Phantast. Ich sage Ihnen, daß da was faul ist."
"Aber der Sohn lebt doch, oder?" fragte
Rosenblüt, mit den beiden Zeigefingern auf sich weisend und solcherart
bekundend, lediglich für vorsätzliche Tötungsdelikte zuständig zu sein.
Es war jetzt Procher, die das Wort ergriff. Sie bat
Rosenblüt, sich kurz die Zeit zu nehmen, den Jungen und die Eltern ein zweites
Mal zu befragen. Nur, um sicherzugehen.
Rosenblüt schaute noch immer verwirrt. Endlich rückte
Procher damit heraus, sie sagte: "Die Eltern sind Stuttgarter. Sie sind
erst vor einem Jahr nach München gekommen. Wegen des Lehrstuhls."
Rosenblüt öffnete seine Hände zu einer fragenden Geste. "Ja
und? Was wollen Sie mir damit sagen? Daß das Tansanier sind, die leider Gottes
nur Suaheli sprechen, und weil ich auch ein Tansanier bin, muß ich jetzt..."
"Herr Hauptkommissar Rosenblüt", unterbrach ihn
Procher mit einer Stimme von der Art einer knisternden Bluse, "wir wollen
uns in dieser Sache auf den Instinkt des Kollegen Svatek verlassen, ohne gleich
alle Pferde scheu zu machen. Sie opfern eine halbe oder eine Stunde Ihrer
Dienstzeit und verschaffen sich einen Überblick. Danach geben Sie mir einen
Bericht, den ich weiterleite. Wir wollen Fehler vermeiden. Es stimmt, ein
komisches Gefühl ist zu wenig. Genau darum möchte ich Sie bitten, dort
hinzufahren, um das Gefühl des Kollegen zu bestätigen oder zu entkräften. Sie
können das, Sie sind der Richtige. Und daß Sie aus Stuttgart stammen, daß Sie
dort ein Held waren, daß Sie ein Gefühl für Ihre Landsleute haben ... nun, ein
Nachteil ist das doch wirklich nicht."
"Ein Held? Hm! - Was meinen Sie, was ich mit den
Eltern des Jungen veranstalten sollte: ein schwäbisches Opferritual?"
"Ob ich so was gutheiße, hängt von der Art des Opfers
ab." Frau Doktor Procher hatte völlig ernst gesprochen.
"Also gut, geben Sie mir die Adresse, und ich schau
mir diese Bantu-Neger an."
"Lieber Herr Kollege", sagte die Dezernatsleiterin,
"könnten Sie vielleicht Ihre Ausdrucksweise mäßigen? Sie sind doch sonst
nicht so."
"Es hängt wohl mit Stuttgart zusammen. Ich fühle mich
verkrampft, wenn ich den Namen dieser Stadt höre."
"Sie sind dort aufgewachsen. Jeder fühlt sich verkrampft,
wenn er an die Heimat denkt. Das ist trotzdem kein Grund, so zu reden."
"Stimmt, da haben Sie recht", meinte Rosenblüt
und erhob sich. Im Stehen fragte er, ob es Hinweise auf die fünf Typen gebe,
die den kleinen Uhl angegriffen hatten.
"Noch nicht", sagte Svatek, hielt Rosenblüt aber
eine Mappe hin: "Hier sind die Aussagen des Jungen. Ziemlich spärlich.
Dazu die Aussagen der Eltern, noch spärlicher. Außerdem ein paar Fakten über
die beiden. Ich habe mich da schon mal kundig gemacht."
"Na gut." Rosenblüt nahm die Akte, dankte knapp,
empfahl sich und verließ das Büro.
Rosenblüt kannte das Gerücht, die verheiratete Frau Doktor
Procher sei mit einem aus dem KDD liiert. Jetzt glaubte er es auch.
Zurück an seinem eigenen Schreibtisch, sah er sich die Aussage
des Jungen an, Martin Uhl. Die Beschreibung der fünf Angreifer reduzierte sich
auf den Sachverhalt, sie hätten das typische Türkendeutsch gesprochen,
Sechzehn-, Siebzehnjährige, trainierte Kerle, Kraftkammer, Goldkettchen, einer
mit Schnauzer, einer von ihnen der Anführer. Doch genauer wurde der Bericht
nicht, bloß das gestohlene Handy sowie der Inhalt der Geldbörse waren ebenso
exakt beschrieben wie die Kleidungsstücke, die in die Isar geworfen worden
waren. In Ermangelung einer genauen Täterbeschreibung war gewissermaßen eine
genaue Opferbeschreibung vorgenommen worden. Auch über die Eltern, Gabriele und
Christoph Uhl, hatte Svatek einiges zusammengetragen. Allerdings nichts, was
sich auf den ersten Blick angeboten hätte, ein Verbrechen zu erklären, welches
über den sadistischen Raubüberfall einer Jugendbande hinausging und etwa Dinge
wie Erpressung einschloß.
Rosenblüt machte sich auf den Weg.
"Kann ich den Hund hierlassen?" fragte er seine
Sekretärin, eine junge Frau, die in der Tat lieber in einem Zoofachgeschäft
gearbeitet hätte. Sie nickte, merkte aber an, daß man so
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