Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
bulgarische Maler und Zeichner Jules Pascin und Gelegenheitsgäste aus München wie Erich Mühsam.
Erst in Paris wurde Hessel zu dem Beobachter, Flaneur und Meister der kleinen literarischen Form sowie des autobiographischen Erzählens, als der er unsterblich wurde. Paris tat ihm gut. Und er wurde rasch in die Lebewelt der Maler und Modelle eingeführt, die den Umkreis der neuen École de Paris bildeten. Dabei half ihm ein guter französischer Freund, den er rasch gewonnen hatte: Henri-Pierre Roché, der nur gelegentlich schrieb, viel übersetzte (Theaterstücke von Schnitzler oder Sternheim zum Beispiel), vor allem aber sein Geld im Kunsthandel verdiente, der durch das Auftauchen amerikanischer Sammler immer interessanter wurde.
Auch in manche Liebesturbulenzen geriet Franz Hessel durch Roché. So hatte er eine kurze Liaison mit der Malerin Marie Laurencin, zuvor Rochés Gespielin und nach ihm die des Dichters Guillaume Apollinaire. Ein Höhepunkt der Pariser Ausschweifungen war in jedem Mai das Jahresabschlussfest der Kunsthochschulen, der Bal des Quat’z-Arts, zu dem Roché seinen deutschen Freund mitnahm. Hessel seinerseits reiste mit Roché nach München, wo erihm seine einstigen Freundinnen zuführte, unter anderem Franziska zu Reventlow.
Als auch eine junge Frau aus Marburg, um die Hessel vergeblich geworben hatte, zu Rochés Eroberungen zählte, zitierte Franz jene Verse von Goethe, die in seinem wahren Leben wie später in
Jules et Jim
zum Leitmotiv werden:
Lieber durch Leiden
Möcht ich mich schlagen
Als so viel Freuden
Des Lebens ertragen.
Alle das Neigen
Von Herzen zu Herzen,
Ach wie so eigen
Schaffet das Schmerzen!
1911 brachen Franz und Pierre zu einer gemeinsamen Reise nach Griechenland auf. Der Archäologe Herbert Koch, ein Bekannter von Hessel aus München, zeigte ihnen in Tanagra Statuen mit dem »archaischen Lächeln«. Beide Männer verstummten vor Bewunderung. Als sie ein Jahr später eine Frau kennenlernten, die eben dieses Lächeln hatte, nahm das große Liebesdrama seinen Lauf. Jene Frau allerdings – Helen Grund – stammte aus Berlin.
Henri-Pierre Roché wurde 1879 in Paris geboren. Ein Jahr später starb sein Vater, ein Apotheker. Die Familie Roché war protestantisch und Henri-Pierre somit Angehöriger einer Minderheit in seinem Land, wie es Franz Hessel als deutscher Jude auch war. Madame Clara-Louise Roché, geborene Coquet, bezog Einkünfte aus vermietetem Hausbesitz in Paris und aus geerbtem Vermögen. Außerdem hatte sie strikte Erziehungsgrundsätze, die bei ihrem Sohn allerdings versagten. Er studierte mit mäßigem Eiferpolitische Wissenschaften, besuchte außerdem eine private Kunstakademie, hatte aber selber keinen künstlerischen Ehrgeiz. Er fand seine Berufung als Makler und Agent auf dem freien Kunstmarkt, er beriet gegen Honorar amerikanische Sammler, die in die neue Malerei der École de Paris zu investieren begannen. So vermittelte er den Kontakt zwischen Pablo Picasso und den Geschwistern Leo und Gertrude Stein. Roché selbst besaß später eine stattliche Sammlung von Werken der neuen Kunst, darunter einige von Picasso, Braque, Man Ray und vor allem von Marcel Duchamp.
Vor allem aber führte er ein zweites, heimliches Leben: Er wurde nach dem Scheitern einer Verlobung in England ein ausgesprochener Erotomane. Jede Frau zu lieben, die in seine Nähe kam, wurde sein Prinzip. In dieser Hinsicht war sein Leben ein großer Erfolg, und die Künstlerwelt von Montparnasse war dafür das geeignete Jagdrevier. Über sein Liebesleben führte er ausführlich Buch. Von etwa 1900 bis nach 1945 hat er tägliche Notizen und gelegentlich längere Aufzeichnungen angefertigt, die geplanten Romanen als Basis dienen sollten. 346 Hefte hat er auf diese Weise gefüllt. Von literarischem Wert ist das Zeugnis aber nicht. Roché verzeichnete einige wenige Beziehungen von Dauer und sehr viele kurze Affären. Immerhin gab es ab 1902 einen ruhenden Pol in seinem zerstreuten Leben: Germaine Bonnard, eine Puppenmacherin.
Im 14. Arrondissement, im Haus Nummer 45 der Rue d’Alésia, richtete er sich eine kleine Wohnung im 7. Stock ein, eine Garçonnière, in der er seine Geliebten empfing. Nur wenn seine Mutter verreist war, ging er mit ihnen in die Wohnung in der Nummer 99 des Boulevard Arago. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1929 wurde dies seine Hauptadresse.
Im Herbst 1912 geschah etwas Neues in der Junggesellenwirtschaft von Franz Hessel und Henri-Pierre Roché.
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