Sterben Sie blo nicht im Sommer
als Folge der Hirnblutung und des Hirninfarkts vermutet hatten: Die Welt meiner Mutter hat sich halbiert. Ihre gesamte linke Seite ist aus ihrer Wahrnehmung verschwunden. Ihre Hand, ihr Arm, ihr Bein, alles, was sich links abspielt, hat für sie aufgehört zu existieren. »Neglect« nennt sich das Phänomen, von lateinisch: neglegere = nicht wissen, vernachlässigen. »Ein Neglect-Patient hat Schwierigkeiten, die der Hirnläsion gegenüberliegende Seite seiner Umgebung und auch seines Körpers wahrzunehmen«, lesen wir im Internet-Lexikon Wikipedia. Dort steht, der Patient selbst fände gar nichts Anormales daran, ohne sein Links zu sein. Er vermisst es so wenig wie ein Kamel oder einen dritten Fuß. Wir sind sehr froh über Wikipedia. Denn die Ärzte wollten sich wieder einmal nicht mit den Details aufhalten. Sie sagen uns, es könne sich bei dem wie bei einem Schlaganfallpatienten versteiften Arm und Bein, bei der Unfähigkeit, Reize von links wahrzunehmen, um eine vorübergehende Erscheinung handeln (›Das kommt wieder!‹). Sie sagen uns nicht, dass es sich bei diesem ›vorübergehend‹ um fünfzehn Monate handelt. Das heißt: In diesem Leben wird meine Mutter ihr Links nicht mehr zurückerobern. Was uns auch niemand erklärt: »Neglect« geht unter Umständen mit großen Schwierigkeiten beim Sehen einher. Wir werden meine Mutter später mit Ermunterungen zum Lesen nerven. Wir werden uns nicht erklären können, weshalb es so schwer sein soll, etwa die großen Überschriften auf einer Tageszeitung zu entziffern. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Im Moment hat meine Mutter zwar die Augen offen, blickt aber ins Leere. Sie scheint ihre Umwelt kaum wahrzunehmen. Dabei ist es gar nicht so leicht, einfach auszublenden, was hier gerade im Zimmer passiert.
Die Patientin im Nachbarbett weint sich die Seele aus dem Leib. Bei ihr wurde ein Aneuryrisma an einer offenbar für eine OP ungünstigen Stelle festgestellt. Man hat es ihr gerade gesagt. Wo sind hier eigentlich die Rettungsboote? Die Schwimmwesten? Der Schalter, mit dem man sich in das Leben von vor fünf Jahren beamt? Es ist, als wären wir inmitten einer dieser mittelalterlichen Höllendarstellungen gelandet – und zugleich ist es das Paradies. Eben hat man uns gesagt, dass meine Mutter schon morgen in die Reha verlegt wird. Heißt das nicht, dass es weitergeht?
Interview mit Gisbert K.
Worauf man bei der Vorsorge achten sollte und wie es gelingt, das optimale Gleichgewicht von Gleichmut und Planung zu halten, erklärt der Notar a. D., Rechtsanwalt und Spezialist für Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht:
Wozu überhaupt Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung?
Es gibt drei einfache Gründe: Dass Ärzte unter Umständen in Teufels Küche kommen, wenn sie eigenständig Entscheidungen etwa darüber treffen, das Leiden eines Patienten nicht unnötig zu verlängern. Der zweite Punkt: Dass niemand die Zeit hat, sich mit dem Menschen, der dort liegt, mit seinen Wünschen und dem, was er für zumutbar befunden hätte, zu beschäftigen. Dann: Dass ein Patient im Koma der ideale Patient ist. Er beschwert sich nicht, man braucht ihn nicht zu füttern. Aber bringt eine Menge Geld. Da kann man es einer Klinik gar nicht verdenken, wenn gesagt wird, den möchten wir noch ein bisschen länger behalten. Womöglich weit länger, als der Patient selbst gern auf Erden bleiben würde.
Ist es nicht schwierig, im Voraus einen Zustand zu definieren, an dem ich bereit bin, anderen die Entscheidung für mich zu überlassen?
Für mich persönlich gibt es da eine ganz einfache Grenze: Das ist der Hirntod. Wenn ich selbst nicht mehr sagen kann, was ich möchte. Wenn ich geistig nicht mehr da bin und feststeht, dass sich daran nichts mehr ändern wird. In diesem Moment muss ein anderer die Entscheidungen für mich treffen.
In den Vordrucken für die Vorsorgevollmacht kann man für die unterschiedlichen Aufgaben verschiedene Menschen benennen. Der eine darf dann vielleicht nur die Post öffnen, der andere Konten verwalten, der nächste die Grundstücke.
Ich kenne ähnliche Aufgabenteilungen aus der Betreuungs-Praxis. Das geht durchaus gut. Aber irgendwann läuft es dann doch so, dass einer alles macht, spätestens, wenn die anderen merken, dass einer der Betreuer besonders gut und engagiert ist. Es ist sehr viel praktikabler, einen zu bestimmen, der alles macht.
Muss die Vorsorgevollmacht denn ausschließlich nur für den Fall gelten, dass ich selbst gar
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