Sterben Sie blo nicht im Sommer
QALY nennt sich etwa eine dieser Berechnungsgrundlagen der Gesundheitsökonomen, wie sie bereits in Großbritannien angewandt wird. Es ist die Abkürzung für ›Quality-Adjusted Life Years‹ (›qualitätskorrigierte Lebensjahre‹) [29] . Man schätzt, um wie viel länger ein Patient etwa mit einem Krebsmedikament oder einer Operation leben wird als ohne. Die Lebensqualität der so gewonnenen Jahre wird mit einer Skala zwischen 1 (vollkommen gesund) und 0 (tot) bewertet. Die vermeintlich zu gewinnenden Lebensjahre werden dann mit dem Faktor für die vermutete Lebensqualität multipliziert. Daraus ergibt sich der Wert der medizinischen Maßnahme, ausgedrückt in QALY . Ein zusätzliches Lebensjahr bei voller Gesundheit repräsentiert somit 1 QALY . Hingegen entspricht ein Lebensjahr im Zustand beeinträchtigter Gesundheit beispielsweise einem QALY von 0,75. So sinkt, um ein Beispiel zu geben, der QALY bei an Brustkrebs erkrankten Frauen mit jedem Rezidiv, das bei ihnen nach der Behandlung festgestellt wird. Und mit ihm die Aussicht auf bestimmte Behandlungen. Können umgekehrt durch eine Operation etwa vier Lebensjahre mit mittlerer Qualität (Faktor 0,5) gewonnen werden, hat der Eingriff den Wert von 2 QALY (4 x 0,5).
Nein, man wartet nicht, bis der Betroffene selbst sagen kann: »Also, das Leben mit Bauchspeicheldrüsenkrebs ist deutlich besser, als ich vermutet hatte.« Man trifft eine Annahme darüber, wie lebenswert ein Zustand sein wird. Mit dem Ergebnis, dass manche Medikamente gar nicht erst zur Anwendung kommen, weil sie für ein sehr spätes Stadium bestimmter Krebsarten gedacht sind. Im Prinzip ist es wie in einer Patientenverfügung, nur treffen andere basierend auf Befragungen und Erhebungen Aussagen über eine zukünftige Lebensqualität und ziehen daraus Konsequenzen. Und ganz sicher sagt da niemand: »Mag sein, dass drei Monate nicht so viel Zeit ist, aber besser als bloß drei Wochen, also wir haben kein Problem damit, wöchentlich mehrere tausend Euro für diese Verlängerung auszugeben.« In Großbritannien wird eine Maßnahme nur bis zu einem Betrag von 30.000 Pfund pro QALY übernommen. [30] Mehr darf eine medikamentöse Therapie nicht kosten, damit sie dem Patienten zur Verfügung gestellt wird. In Deutschland ist eine Anwendung derzeit nicht zu erwarten. Theoretisch. Praktisch fließen Überlegungen zur Kosteneffektivität von Behandlungen, die vermeintliche Berechenbarkeit von zukünftiger Lebensqualität, die auch QALY zugrunde liegt, in Entscheidungen darüber mit ein, wie teuer und umfänglich Therapien sein dürfen. Auch hier wird zum Beispiel von der Krankenkasse die Frage gestellt, ob sich die Investition in ein Weiterleben lohnt oder nicht. So warnte der jüngst verstorbene Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe in einem Interview bereits 2008, dass »schon jetzt ein großer Teil der an Demenz erkrankten Menschen ganz bewusst nicht optimal versorgt werde«. [31]
Die Diskussion darüber, ob der Einsatz teurer Krebsmedikamente überhaupt lohnt, wird immer offensiver geführt. (Statt darüber zu debattieren, ob die Krebsmedikamente überhaupt so teuer sein müssen.) Sicher will niemand bis in die letzte Lebensminute mit dem gesamten zur Verfügung stehenden Arsenal der Medizin traktiert werden. Und Geld allein heilt bekanntlich nicht alles. Die Frage ist nur: Wer entscheidet, ab wann unser Leben zum Sterben ist? Offenbar ist das Interesse, dass wir selbst das tun, eher gering. Schaut man sich die Anleitungen zur Vorsorge an, fallen die meisten eher in die Kategorie ›Abschreckungspolitik‹. Vermutlich gibt es nicht wenige, die bereits beim Erstkontakt mit der Dreifaltigkeit von Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung sagen: »Lieber eine Ikea-Küche selbst montieren! Mit einer japanischen Bauanleitung!« Vieles liest sich, als wäre das selbstbestimmte Sterben so etwas wie ein sehr exklusiver Club mit einem Türsteher, der sich erst mal den Hochschulabschluss zeigen lässt, bevor er entscheidet, wer rein darf. Stellen Sie sich – sagen wir mal – das Personal etwa von »Frauentausch« oder große Teile der » DSDS «-Kandidaten bei der Lektüre der beiden Passagen unten vor. Sie stammen aus der 43-seitigen (!) Broschüre »Patientenverfügung« des Bundesministeriums der Justiz: [32]
»Das Gesetz definiert die Patientenverfügung als schriftliche Festlegung einer volljährigen Person, ob sie in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch
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