Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Wahrscheinlich musste er einsehen, dass er sich und seine Forschungen ein bisschen überschätzt hat.«
»Nein«, widersprach Sven. »Ich denke, er war der Lösung ziemlich nahe, zumindest hat er das geglaubt. Er wollte wohl nur nicht, dass zu viel davon vorzeitig an die Öffentlichkeit dringt, um Spekulationen vorzubeugen und sich nicht lächerlich zu machen, falls es doch nicht klappt. Und nicht zuletzt haben wir ihn als Gutachter seiner eigenen illegalen Arbeit bestellt. Diese Probe hätte für ihn bestimmt zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt auftauchen können. Er war quasi zur Skepsis gezwungen, um sich mehr Zeit zu verschaffen. Ich glaube, es war ihm gar nicht so wichtig, ungeschoren aus der Sache rauszukommen. Er wollte nur um jeden Preis seine Arbeit vollenden.«
»Also sind all die Toten umsonst gestorben.«
»Ich wüsste nichts, was sie rechtfertigen würde.«
»Ich weiß nicht recht«, meinte Koschny. »Möglicherweise ist Staudes Sichtweise ja gar nicht so falsch. Was sind schon ein paar Menschenleben, wenn es um das Leben von Millionen geht? Vielleicht haben wir zu sehr das einzelne Individuum im Blick.«
»Ist das wirklich dein Ernst?«
»Ich habe die letzten Tage viel darüber nachgedacht«, erwiderte Koschny. »Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll. Es fällt nicht immer leicht, den Unterschied zwischen Richtig und Falsch zu erkennen. Manchmal verschwimmen die Grenzen.«
»Ja, das Gefühl kenne ich«, räumte Sven ein.
»Was ist mit Hofers Frau und seinem Sohn?«, wollte Koschny wissen. »Habt ihr sie inzwischen gefunden?«
»Das war gar nicht nötig. Sie hatten aus den Schweizer Medien erfahren, was geschehen war, und haben sich mit uns in Verbindung gesetzt. Beide sind gestern Nachmittag hier angekommen.«
»Hast du schon mit der Frau gesprochen?«
Das hatte er getan. Zumindest dieses Versprechen hatte er eingelöst. »Der Staatsanwalt wird sie in den nächsten Tagen vernehmen lassen«, wich er aus.
»Glaubst du, sie wusste von Hofers Machenschaften?«
»Keine Ahnung. Und ehrlich gesagt ist es mir auch egal. Schließlich haben schon genug Menschen für die Fehler anderer gebüßt. Auf Hofers Frau wartet in nächster Zeit ohnehin genug, womit sie fertig werden muss.«
»Hey, du wirst doch wohl nicht noch zu einem echten Menschenfreund, oder?«
»Na ja«, knurrte Sven, »ich habe wohl eingesehen, dass es nichts bringt, jeden als Feind zu betrachten. Dabei übersieht man eine Menge Freunde.« Verlegen blickte er auf seine Füße. »Außerdem war ich auf dem besten Weg, ein unausstehliches Arschloch zu werden.«
»Na ja, immerhin bist du jetzt ein verträgliches Arschloch«, bemerkte Koschny, und Sven erwiderte sein breites Lächeln.
»Ich soll dich übrigens herzlich von Milenz grüßen.«
»Der Pfleger?«, fragte Koschny. »Ich kenne ihn doch kaum. Habe ihm nur ein paar Fragen über Jensen gestellt.«
»Aber immerhin hast du einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass er wieder auf freiem Fuß ist. Ich soll dir von ihm gute Besserung wünschen. Er sagte, wenn du einen guten Pfleger brauchst, sollst du ihn anrufen.«
»Vielleicht nehme ich ihn sogar beim Wort. Kann er kochen?«
»Das musst du ihn schon selbst fragen«, lachte Sven.
»Habt ihr schon etwas über diese beiden Schweinehunde mit dem BMW rausgefunden?«
»Der Kerl, der sich Mohamed nannte, hieß in Wahrheit Achmed Begim und hat seit etwa acht Jahren in Deutschland gelebt. Offiziell hat er zur Tarnung als Teilzeitkraft in einer Schlosserei gearbeitet. In seiner Wohnung wurden unter anderem diverse Waffen und eine Liste mit Adressen sichergestellt, denen wir noch nachgehen müssen. Das LKA hat sich mittlerweile in die Ermittlungen eingeschaltet. Die bringen Begim mit fünf weiteren ungeklärten Todesfällen innerhalb der letzten vier Jahre in Verbindung.«
»Und was ist mit seinem Komplizen?«
»Konnte bis jetzt noch nicht einwandfrei identifiziert werden. Aber Hofers Sekretärin hat sein Foto wiedererkannt. Er hatte in dem Heim regelmäßig einen Termin unter dem Namen Bülesch Altun, angeblich als Vertreter einer Firma für medizinische Geräte. Wahrscheinlich war er die Verbindung zwischen Hofer und Hees. Er kannte die Abläufe in dem Heim und wusste, wann es für ihn ungefährlich war, sich dort einzuschleichen und wo er nach den Daten zu suchen hatte. Außerdem gehen wir davon aus, dass er eine Art Mittelsmann für Begim war …«
Koschny unterbrach ihn mit einer Handbewegung
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