Sterblich
Sandland fragen, ob sie mit mir irgendwo noch etwas essen geht, auch wenn es schon spät ist. Wir könnten über die Arbeit plaudern, über Fachliches – und über Sex. Diese stramme Maus. Ich muss bald einen Knoten in meinen kleinen Freund machen, wenn ich nicht endlich …
Brogelands Gedanken werden jäh unterbrochen, als sich auf dem Bildschirm ein Fenster öffnet. Ein Webcam-Foto von Ann-Mari Sara, der Kriminaltechnikerin in Bryn, füllt den Bildschirm. Brogeland beugt sich vor und dreht die Lautstärke hoch.
»Wir haben den Computer jetzt untersucht«, sagt sie.
»Marhonis Computer?«
»Nein, Mahatma Gandhis. Wessen Computer denn sonst?«
»Habt ihr was gefunden?«
»Und ob, das können wir jetzt mit Sicherheit bestätigen.«
»Okay, warte einen Moment. Ich hole nur schnell Sandland.«
»Nicht nötig. Ich kann euch schicken, was ich habe. Ich wollte nur sichergehen, dass du da bist.«
»Okay.«
Brogeland steht eilig auf und geht auf den Flur. Zu gerne nutzt er jede Gelegenheit, an Sandlands Tür zu klopfen. Er öffnet die Tür. Sie sitzt am Telefon. Brogeland flüstert überdeutlich: »Marhonis PC .«
Er zeigt zu seinem Büro, obwohl das eigentlich überflüssig ist, da sie die Mail ja auch bekommt. Sandland mimt mit den Lippen, dass sie gleich kommt.
Ach, wenn du wüsstest, wie sehr ich mir wünsche, dass du kommst, denkt Brogeland und schließt die Tür hinter sich. Er geht zurück in sein Büro und lässt sich auf seinen Stuhl fallen, dann klickt er die E-Mail von Ann-Mari Sara an.
In dem Augenblick betritt Sandland den Raum.
»Perfektes Timing«, sagt Brogeland. Sandland stellt sich hinter ihn und beugt sich über seinen Kopf. Brogeland kann sich kaum beherrschen. So nah war sie ihm noch nie. Er nimmt ihren Duft wahr, nach …
Nein, denk nicht einmal daran.
Er liest laut vor, was Ann-Mari Sara geschrieben hat.
Die Harddisk ist stark zerstört, einen Großteil der Informationen konnten wir noch nicht extrahieren. Aber möglicherweise ist es uns dennoch gelungen, das Wesentliche herauszuholen. Öffne den Anhang, dann weißt du, was ich meine.
Brogeland klickt auf den Anhang und starrt gespannt auf den Schirm. Als das Bild sichtbar wird, dreht er sich um und schaut zu Sandland hoch. Sie gucken sich an und grinsen. Brogeland dreht sich wieder nach vorn und klickt auf Antworten .
Gute Arbeit, AMS . Aber bleibt noch dran an der Festplatte. Möglicherweise gibt es da noch mehr brauchbares Material.
Brogeland reibt sich die Hände und denkt, dass sie sich der letzten Runde nähern.
Der Entscheidung.
40
In der Regel tut ihm Kaffee gut, aber nicht, wenn er angespannt ist und auf etwas wartet oder wenn, wie jetzt, die mit Anette vereinbarte Zeit längst verstrichen ist.
Er hat sich im Café ans Fenster gesetzt, um den Verkehr zu beobachten, der draußen vorbeirauscht, und um ein Auge auf die Passanten werfen zu können, die nur durch die Scheibe von ihm getrennt über den Bürgersteig schlendern. Aber es gibt noch einen Grund, weshalb er dort Platz genommen hat. Von diesem Platz aus ist er sofort draußen, sollte etwas geschehen.
Wo bist du, Anette?, fragt er sich und denkt, dass sie niemals auftauchen würde, wenn das ein Film oder gar ein Thriller wäre. Dann wäre ihm längst jemand zuvorgekommen, hätte sich geholt, wonach er gesucht hat, und ihre Leiche entsorgt, damit sie nie gefunden würde.
Seine Gedanken verwirren ihn, aber sie wundern ihn nicht, schließlich ist Anette schon mehr als eine halbe Stunde zu spät. Er fragt sich, was geschehen sein kann. Hat sie unerwartet Besuch von jemandem bekommen? Hat ihre Mutter angerufen? Oder musste sie erst abwarten, bis die Waschmaschine fertig war oder der Pizzabote endlich kam?
Nein, das ist um diese Uhrzeit eher unwahrscheinlich. Vielleicht ist sie ganz einfach unzuverlässig. Auch solche Menschen gibt es. Irgendetwas sagt Henning aber, dass Anette nicht zu dieser Sorte Mensch gehört. Sie ist eine von denen, die es versucht . Die sich Mühe gibt und es im Leben zu etwas bringen will, eine Frau mit Ambitionen.
Vielleicht ist es gewagt, nach einer kurzen Begegnung so etwas zu behaupten, aber seine Antennen sind gut, und er erkennt schnell, welche Menschen Griesgrame sind und welche nett und ehrlich, also echte Ware, wer seine Frau schlägt, wer gerne mal ein Glas – oder drei – zu viel trinkt, wenn sich die Gelegenheit bietet, wem alles egal ist und wer es versucht . Er ist sich vollkommen sicher, dass Anette zu Letzteren gehört,
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