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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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und genau deshalb macht er sich Sorgen.
    Schließlich geht die Tür des Cafés aber doch auf, und er zuckt zusammen, als er Anette erkennt. Sie sieht anders aus als bei ihrer letzten Begegnung vor zwei Tagen. Die Angst lauert noch immer in ihrem Blick, aber jetzt wirkt sie noch verschlossener. Sie hat sich eine Kapuze über den Kopf gezogen, ist ungeschminkt und macht einen ungepflegten Eindruck. Ihr Rücken ist gebeugt. Sie trägt einen kleinen grauen Rucksack ohne Aufschrift, dafür aber mit zahlreichen Aufnähern.
    Als sie ihn entdeckt, sieht sie sich im Raum um und geht dann entschlossen auf ihn zu. In neun von zehn Fällen folgt nach einem solchem Auftritt eine Standpauke. Scheiß Reporter, die die Menschen nicht in Ruhe lassen und kein bisschen Schamgefühl haben. Manchmal macht ihn das sogar selbst betroffen, nicht aber dieses Mal.
    Anette bleibt vor seinem Tisch stehen und sieht ihn an. Sie setzt sich nicht, während sie den Rucksack abnimmt. Den Aufnähern nach zu urteilen hat sie schon viel von der Welt gesehen. Er erkennt die Namen exotischer Städte in weit entfernten Ländern. Assab in Eritrea, Nzerekore in Guinea, Osh in Kirgisien, Blantyre in Malawi. Sie knallt den Rucksack auf einen Stuhl.
    »Wollen Sie etwas trinken?«
    »Ich habe nicht vor zu bleiben.«
    Sie nimmt einen Stapel Blätter aus dem Rucksack, legt sie vor ihm auf den Tisch und schnürt den Rucksack schnell wieder zu.
    Dann setzt sie ihn wieder auf den Rücken, dreht sich um und will gehen.
    »Anette, warten Sie!«
    Seine Stimme ist lauter als vorgesehen. Die Menschen um ihn herum drehen sich um. Anette bleibt stehen und sieht ihn an. Ich hoffe, sie erkennt das Bitten in meinen Augen, denkt er. Das Ehrliche, das Freundliche.
    »Bitte, trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir.«
    Anette tut nichts, sie steht einfach nur da.
    »Okay, keinen Kaffee, der schmeckt hier scheiße, aber vielleicht einen Latte, einen Tee, einen Chai? Eins, zwei, chai?«
    Anette geht einen Schritt auf ihn zu.
    »Sie sind ja ein Witzbold.«
    Er fühlt sich wie ein Zwölfjähriger, der beim Mogeln erwischt wurde.
    »Wie schon gesagt: Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
    »Und warum geben Sie mir das dann?«, fragt er und zeigt auf die Blätter vor sich. Auf der Titelseite steht:
    Scharia-Kaste
    Skript: Henriette Hagerup
    Regie: Anette Skoppum
    Er spürt, dass er sich kaum mehr beherrschen kann. Am liebsten würde er gleich mit dem Lesen beginnen.
    »Damit Sie verstehen.«
    »Aber …«
    »Bitte … versuchen Sie nicht, mir zu helfen.«
    »Aber, Anette …«
    Sie macht Anstalten zu gehen.
    Er will aufstehen, erkennt aber das Hoffnungslose, Verzweifelte an der ganzen Situation, sodass er ihr bloß nachruft: »Vor wem haben Sie denn solche Angst, Anette?«
    Sie legt ihre Hand auf den Türgriff, sieht ihn nicht an und bleibt ihm die Antwort schuldig. Dann verschwindet sie nach draußen. Er bleibt sitzen und sieht, wie sie weggeht, allein mit ihrem Rucksack auf dem Rücken. Was da wohl drin ist? Kleider zum Wechseln, ein Film, ein Buch oder eine Stun Gun?
    Der Gedanke taucht wie aus dem Nichts auf. Aber da er schon einmal da ist, denkt er eine Weile darüber nach. Im Grunde ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Wer kennt das Skript besser als Anette?
    Nein, sagt er zu sich selbst. Warum sollte sie ihm das Drehbuch zu lesen geben, wenn sie etwas mit dem Mord an ihrer Freundin zu tun hat? Damit er versteht? Nein, der Gedanke ist dumm, denkt er und weist ihn von sich. Ich muss das Skript lesen, folgert er, herausfinden, ob es darin einen Ansatzpunkt gibt.
    Irgendetwas muss es geben.

41
    Anwalt Lars Indrehaug schiebt die Ponyfransen mit den Fingern aus der Stirn, sodass seine Haare für einen Moment lang nicht mehr vor seinen Augen hängen. Verdammter Lackaffe, denkt Bjarne Brogeland. Mit dir wäre ich gerne mal in einem schalldichten Raum ohne Kameras.
    Traum und Wirklichkeit. Leider zwei grundverschiedene Dinge. Da hilft es auch nicht viel, dass Ella Sandland wieder neben ihm sitzt. Brogeland starrt auf die Papiere vor sich und legt einen elektrischen Schalter um, um gleich darauf einen anderen zu betätigen. Sie haben das Verhör dieses Mal gut vorbereitet, sind alle Beweise vorher noch einmal durchgegangen und haben ihr Vorgehen abgesprochen. Dass Sandland noch immer an Marhonis Unschuld glaubt, ändert nichts daran, dass sie endlich überzeugende Antworten auf ihre Fragen bekommen wollen.
    Brogeland liebt es, mit Sandland über den Fall zu diskutieren, es macht ihn an,

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