Sterblich
ein Mensch gewesen? Provokationen mit Substanz, hat Foldvik gesagt. Henning versteht, was ihr Dozent meint, auch wenn die Scharia-Problematik etwas platt und wenig nuanciert daherkommt. Der Gedanke dahinter ist aber offensichtlich. Idioten, die die Scharia verfechten, müssen weg, und wir sollten keine Wege und Mittel scheuen, um uns und unsere eigene Kultur zu schützen. Frauen aller Länder, vereinigt euch, und lasst so etwas nicht mit euch machen.
Aber wo ist der Zündstoff? Das Gefährliche ? Wo sind die verletzenden Dialoge, die Munition, die dazu geführt hat, dass jemand das Drehbuch in eine bittere Tat umgesetzt hat? Hagerup ist weit von Theo van Gogh entfernt, dem niederländischen Regisseur, der islamkritische Filme gedreht hat und dafür 2004 in Amsterdam auf offener Straße mit acht Pistolenschüssen ermordet wurde. Der Mörder hat van Gogh anschließend noch die Kehle durchtrennt und ihm zwei Messer in die Brust gestochen, an denen ein langer Drohbrief befestigt war. Nach allem, was Henning weiß, ist Hagerup bislang nicht als besonders islamfeindlich aufgefallen. Sie war sogar mit einem Muslim zusammen.
Je mehr Henning darüber nachdenkt, desto überzeugter ist er davon, dass jemand aus dem engsten Umfeld von Anette und Henriette hinter der Tat stehen muss.
Ich muss herausfinden, wer an dem Film beteiligt sein sollte, denkt er. Wer kannte das Skript, und welche Außenstehenden haben es gelesen? Der oder die Mörder müssen zu diesem Personenkreis gehören.
43
Er kämpft gegen den Drang an, noch einmal bei Anette anzurufen. Das wäre zu früh. Sie hat ihm klargemacht, dass er nicht versuchen soll, ihr zu helfen, und er will mehr Überblick haben, ehe er erneut Kontakt zu ihr aufnimmt.
Stattdessen ruft er Bjarne Brogeland an. Brogeland hat Henning nach der Vernehmung im Polizeipräsidium seine Karte gegeben. Er antwortet unmittelbar.
»Hallo, Bjarne, hier ist Henning.«
»Hallo, Henning! Wie geht’s?«
»Äh, gut. Du – können wir uns treffen?«
Ein paar Sekunden ist es still am anderen Ende.
»Jetzt?«
»Ja. Am liebsten sofort und gerne an einem neutralen Ort. Ich habe etwas, worüber ich mit dir reden möchte.«
»Als Journalist, meinst du?«
»Tja, das weiß ich nicht so genau.«
»Hat es etwas mit Tariq Marhoni zu tun?«
»Nein, mit seinem Bruder. Und mit Henriette Hagerup. So gesehen hängt es vielleicht auch mit Tariq zusammen. Das weiß ich eben nicht so genau.«
»Das weißt du nicht?«
»Nein. Aber ich garantiere dir, dass dich interessieren wird, was ich zu sagen habe und was ich dir zeigen will. Ich hab einfach keine Lust, das am Telefon zu machen.«
Stille, Denkpause.
»Und wo möchtest du mich treffen?«
»Im Lompa.«
»In Ordnung. Ich kann in einer Viertelstunde dort sein.«
»Gut. Bis dann.«
Er beschließt, ein Taxi vom Gode Café zu nehmen, so riskant das auch sein mag. Er geht auf den Fredensborgveien und wartet, bis er einen freien Wagen entdeckt, der nicht silbergrau ist, nicht in Deutschland hergestellt wurde und nicht die Nummer A2052 auf dem Dach hat. Der Fahrer, ein älterer Herr mit grauen Haaren und einer Brille, riecht nach Old Spice und sagt auf der ganzen Fahrt nur wenige Worte.
Henning ist das nur recht. So kann er in Ruhe nachdenken, während sie an Straßen, Gebäuden, Menschen und Autos vorbeifahren. Es hat immer einen merkwürdig beruhigenden Effekt auf ihn, wenn er zu einem Treffpunkt unterwegs ist und sich nicht selbst um den Transport kümmern muss.
Er fragt sich, was wohl in Henriette Hagerups Kopf vorgegangen sein mag, als ihr aufging, dass ihr Drehbuch Wirklichkeit werden und sie selbst darin die Hauptrolle spielen sollte. Wenn sie es denn überhaupt mitbekommen hat. Möglicherweise konnte sie gar nicht mehr reagieren, bevor sie von der Stun Gun betäubt wurde, und vielleicht fand die Steinigung statt, ehe sie wieder zur Besinnung kam.
Hoffentlich. Ebenso hofft er, dass Anette anständig in Deckung geht. Denn wenn Henriette wegen des Drehbuchs ermordet wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Anette das nächste Opfer ist.
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Das Restaurant Olympen, wie das Lompa eigentlich heißt, wurde Anfang Oktober 2006 für eine Totalrenovierung geschlossen. Ein gutes Jahr später war die Neueröffnung. Henning hat früher viel Zeit im Lompa verbracht, vor Woran Er Nicht Denken Will. Ein nettes Lokal, um eine Kleinigkeit zu essen und ein Bier zu trinken. Etwas prätentiös, leicht blasierte Kundschaft, freundliche Bedienung.
Schon beim
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