Stern der Göttin
war das mit Mast und Segel?«, rüffelte er Laisa, als diese nicht sofort gehorchte.
Laisa bleckte die Zähne und stieß ein Grollen aus. Für wen hielt dieser Kerl sich eigentlich? Da hatte sie ihn gerettet, und anstatt ihr dafür zu danken, kommandierte er sie schlimmer herum, als es je ein Handelsherr in ihrer Heimat gewagt hätte. Außerdem hatte sie keine Ahnung, was er mit Mast und Segel wollte. Der Wind blies flussabwärts, und sie mussten mit dem Boot gegen die Strömung fahren, wenn sie nach Gamindhon zurückkehren wollten.
»Wird’s bald?« Khatons Ton wurde noch harscher.
Ysobel, die den Umgang mit Magiern eher gewohnt war als Laisa, machte sich daran, den kurzen Mast, der auf dem Boden lag, aufzuheben und in den Mastfuß zu stellen. Da er für sie allein zu schwer war, eilte Laisa ihr zu Hilfe. Gemeinsam schafften sie es und zogen auch das dreieckige Segel auf, dessen anderes Ende sie an einer dafür vorgesehenen Öse in der Bordwand befestigten.
»Wir sind fertig!« Laisa funkelte den Evari rebellisch an. Khaton ließ von Borlon ab, der langsam zu sich kam, und nickte zufrieden. Seine Kräfte, die durch die Versteinerung beinahe ganz erloschen gewesen waren, kehrten nun rasch zurück. Es kostete ihn nur ein wenig mehr Konzentration als sonst, das Boot durch Levitation von der Sandbank zu ziehen, auf der es aufgelaufen war. Kaum war dies geschehen, stellte er sich an das Steuer und blies einmal fest gegen das Segel.
Zu Laisas Verblüffung füllte sich das Tuch wie unter einer guten Brise. Das Boot nahm Fahrt auf und schwamm in einem recht flotten Tempo in Richtung Gamindhon zurück.
Mittlerweile färbte sich der Himmel im Osten rot, und schon bald darauf ging die Sonne wie ein blutiger Ball über dem Horizont auf. Das Schauspiel dauerte jedoch nur kurze Zeit, dann verdrängte goldenes Licht das Rot und kündete einen schönen, trockenen Sommertag an.
Als das Boot durch Khatons Willen gelenkt im Hafen von Gamindhon anlegte, hatte dort jedoch niemand einen Blick für den herrlichen Morgen. Die Pilger standen in Gruppen herum, redeten erregt aufeinander ein und drohten den Einheimischen unverhohlen mit den Fäusten. In der Nähe des Stadttores verhandelte Elawhar mit einigen baumlangen Edelleuten aus den umliegenden Ländern. Obwohl diese ihn um mehr als Haupteslänge überragten, strahlte er doch mehr Autorität aus als alle Umstehenden zusammen. Es war wohl auch seinem Geschick zu verdanken, dass es bisher nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen war.
Da ihn das Auftauchen des Bootes zu stören schien, warf er einen verärgerten Blick hinüber. Dann fiel ihm der Unterkiefer herab. Nach Luft schnappend verbeugte er sich so tief, wie es ihm möglich war. Auch die Männer, mit denen er eben noch gestritten hatte, zeigten auf einmal ehrerbietige Mienen und neigten ihre Köpfe.
Laisa wusste dieses Verhalten nicht gleich zu deuten, doch ein leichter Stupser von Ysobel brachte sie dazu, sich umzudrehen. Nun riss sie selbst die Augen auf. Der befreite Magier sah mit einem Mal ganz anders aus. Statt seiner einfachen weißen Kutte trug er ein weites, im leichten Wind flatterndes Gewand aus glänzender weißer Seide. Seinen Kopf zierte ein großes Barett, und der bis zum Gürtel reichende Bart umrahmte ein Gesicht, das zugleich streng und milde erschien.
Laisa kniff die Augenlider zusammen und bemerkte dann, dass Khaton sich mit Illusionsmagie umgeben hatte, die ihn den Menschen als übernatürliches Wesen zeigte. Der Erfolg war gewaltig. Frauen knieten nieder, als er von Bord stieg und auf die Gruppe um Elawhar zuging, und selbst der eifrigste Schreier verstummte unter seinem Blick.
Da Laisa nicht zurückbleiben wollte, schritt sie mit hoch erhobenem Kopf hinter dem Magier her.
Der Oberpriester weinte beinahe vor Freude und Erleichterung. »Ich danke Tenelin, dass er Euch geschickt hat, erhabener Evari! Gewiss wart Ihr es, der dem Treiben dieses unwürdigen Scharlatans, der sich Prophet nannte, ein Ende gesetzt hat.«
Auf Khatons Antwort waren nicht nur er und die Pilger neugierig, sondern auch Laisa, die sich das Verdienst zumaß, nicht nur den ominösen Propheten vertrieben, sondern auch diesen jetzt so strahlend auftretenden Magier befreit zu haben.
Es war, als würde Khaton ihre Blicke in seinem Rücken spüren, denn er hüstelte leicht, bevor er mit sanfter Stimme zu sprechen begann. »Nun, an der Sache hatte ich weniger Anteil, als es den Anschein hat. Ich habe mich zunächst zurückgehalten, um die
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