Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
mit den Ausgeburten von Moab und Edom …«
    »Und was ist diese Wahrheit?« fragte ich ein wenig gereizt.
    »Der Herr ist unser Gott«, sang er in hebräischer Melodie, »und Gott ist einheitlich und einzig.«
    Ich neigte mich vor, so daß ich nahe an sein Gesicht kam:
    »Betet die Kirche«, sagte ich, »nicht heute noch, nach hunderttausend Jahren in der Messe zum Gotte Abrahams, Isaaks, Jakobs, zu unserm Gott somit, der einheitlich und einzig ist?«
    Rembrandts König Saul drückte sein Kinn mit dem Bartanflug in charakteristischer Weise gegen die Brust.
    »Wie bitte«, fragte er, »seit wann kann, was einheitlich ist, drei Einheiten haben, und was einzig ist, mehrere Personen umfassen?«
    »Daß jede Einheit eine Union ist und daß selbst eine unteilbare Ganzheit verschiedene Aspekte besitzt«, so sagte ich, »das wird Ihnen der Pater Exorzist viel besser beweisen können als ich.«
    König Saul nickte mehrere Male leidenschaftlich mit dem Kopf, während er sprach: »Er kann nicht nur beweisen, Doktus, er muß beweisen. Das ist seine Schwäche. Immer und immer wieder muß er mit Worten beweisen, daß die Unmöglichkeit die Wahrheit ist. Ich muß gar nichts beweisen. Er kann die vollkommene Weltjenseitigkeit meines Gottes, den ich ihm schenkte, nicht ertragen. Das ist seine größte Schwäche. Ich kann sogar auf den Heiland mit meinem ganzen Leben warten und zugleich wissen, daß er nicht kommt. Das ist meine größte Kraft …«
    Io-Minjonman hatte diese Worte entgegen seinem sonstigen müden Ton mit einer großen Glut gesprochen. Sogar seine Sternaugen röteten sich. Unversehens war ich somit in dieser fernfernsten Zukunft in eine mittelalterliche Disputation geraten, in ein Religionsgespräch, wie es zwischen Dominikanern und Juden im Spanien des vierzehnten Jahrhunderts abgehalten zu werden pflegte. Mir war, ohne daß ich’s beabsichtigt hatte, die Rolle des kirchlichen Sprechers zuteil geworden, anstatt umgekehrt. König Saul seinerseits gebrauchte dieselben Argumente, die seine spanischen Vorfahren mit unvergleichlich größerer Vorsicht ins Feld geführt hatten, denn ihnen ging’s zu jener Zeit an den Kragen …
    »Kann etwas, was in sich nicht wahr ist«, nahm ich noch einmal die toledanische Disputation auf, »die Zeiten überdauern, wie es die Kirche tut?«
    König Saul wiegte, bedächtig lächelnd, den Kopf hin und her.
    »Schon wieder muß etwas bewiesen werden, Doktus«, sagte er, »sogar durch Dauerhaftigkeit. Jeder Stein ist zweimillionenmal dauerhafter als die Kirche. Und was heißt das ›in sich wahr‹? Auch das Schachspiel hat alle Zeiten überdauert, weil es in sich wahr ist und obwohl es außer sich weder wahr noch unwahr ist …«
    Nach diesen Worten stand er auf und nahm von einem Bord eine henkellose Schale, einen Quirl und dazu einen großen und einen kleinen hölzernen Löffel.
    »Die Kirche wird so lange leben«, fuhr er während seiner Tätigkeit fort, »wie wir leben, um zu zeugen für Abraham, Isaak und Jakob, die den wahren Gott zuerst erkannten …«
    »Meines Wissens, Saul Minjonman«, versetzte ich, »formuliert es die Kirche genau umgekehrt. Sie meint, Israel werde so lange leben wie sie lebt, also bis zum Ende der Dinge, um für den Messias zu zeugen …«
    »Dann ist uns beiden geholfen«, blinzelte Minjonman versöhnlich unversöhnlich. »Unendliche Strecken sind gleichlang, und wir können’s ruhig abwarten, wer für wen zeugen wird … Mein Willkommenstrunk aber kann nicht länger warten …«
    Damit brach er entschlossen die Disputation ab und goß umsichtig aus dem einen Krug dicke Milch oder Sahne in die Schale. Aus dem andern Krug mischte er goldenen Seim bei, der sich wie ein Faden langzog, und den er mit dem Finger abschnippen mußte.
    »Milch und Honig?« fragte ich gespannt.
    »Milch und Honig«, bestätigte er, »die Milch des reinen Tiers, in das kein Dämon fährt, und der Honig der kleinen Schaffnerinnen, nicht etwa der unverschämten Melissen aus dem Park des Arbeiters. Ich biete Ihnen an, Doktus, unsere mystische Erdenspeise Milch und Honig, die von Gott konsekriert ist und in nichts anderes verwandelt werden kann.«
    »Milch und Honig«, fragte ich, »etwa aus dem Lande, wo Milch und Honig fließt?«
    »Ja«, nickte er, »wir bewahren an der geheiligten Stelle noch einige zehntausend Hufen Landes im strengen, alten Zustand … Das haben unsere Väter durchgesetzt, als die ganze eingeebnete Welt und Menschheit zusammenfloß, grau in grau.«
    König

Weitere Kostenlose Bücher