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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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beduinischen Burnussen vergleichen, meist dunkelbraun oder sandfarben oder aschgrau. Dazu kam noch, daß ich keinen der goldenen oder silbernen Kopfaufsätze zu sehen bekam, mit denen sich die bürgerliche Welt schmückte. In der ehemaligen Unterstadt zog man einfach das Gewand über den Kopf, wodurch nicht nur der Eindruck des Orientalischen vollendet wurde, sondern auch der Verdacht sich regte, daß diese Unglücklichen noch immer über reichliche Behaarung verfügten, die sie auf einer untern Stufe der menschlichen Rangordnung festbannte. Ohne Zweifel lebten auch hier die verachteten Kinderreichen, deren Natur, schrecklich zu denken, so plump geblieben war, daß ihre Frauen mehr als zwei Kinder austragen konnten. Nur das sonnige Riesengeschlecht des Arbeiters durfte sich seine gewaltige Fruchtbarkeit gestatten, da es ja in jeder Weise eine mythische Ausnahmestellung innehatte.
    Ich versuchte, mir die Gesichter der Vorübergehenden einzuprägen, obwohl die meisten davon gesenkt waren. Ihre Farbe, leicht bräunlich oder kupferrötlich, unterschied sich von der Elfenbeinblässe meiner Hausgenossen. Die Herkunft der Einheitsrasse aus weißen und farbigen Verschmelzungen trat hier in der Unterstadt deutlicher hervor; jedoch entdeckte ich keinerlei Mangel in der allgemeinen Schönheit und Alterslosigkeit, wenn ich von dem melancholischeren, schwerfälligeren und dann und wann auch zornigeren Lebensausdruck absehe. In der Nachbarschaft dieses Lebens wohnte der Großbischof, und irgendwo hier in der Umgebung stand auch – vermutlich halb unter der Erde – sein metropolitanes Münster. War die Kirche nur dem evangelischen Wort gehorsam, wenn sie die Nähe der Mühseligen und Beladenen suchte, die es selbst in diesem Zeitalter ohne Ökonomie und soziale Reibungen noch gab? Oder drückte sie dadurch, daß sie die ehemalige Unterstadt zu ihrem Sitz erwählte, nur jene erhaben reaktionäre Gesinnung aus, die nach den Worten ihres Großbischofs in der astromentalen Kultur eine Verschärfung des Sündenfalls und eine weitere Entfernung von Gott sah und sich deshalb jenen anschloß, welche »zurückgeblieben« waren? Diese Fragen gingen mir gerade durch den Kopf, als ich durch ein leichtes Unruhigwerden meiner Rückennerven bemerkte, daß mich jemand hinter mir scharf ansah. Ich blieb stehen und drehte mich um. Der Jemand hinter mir blieb auch stehn. Es war ein Mann von kleiner, schmaler Gestalt, in einen schwarzen mantelartigen Stoff gehüllt, mit dem er in rituell feierlicher Art etwa bis zur Hälfte sein sehr blasses Gesicht bedeckte. Ich ging weiter. Er ging weiter. Ich blieb stehn. Er bewegte sich langsam an mir vorbei. Nachdem wir so, beinahe schleichender Weise, etwa dreißig Schritte zurückgelegt hatten – wobei ich das Gefühl nicht loswerden konnte, er führe mich zu einem bestimmten Ziel –, blieb er wiederum unvermutet stehen. Wenn ich nicht dasselbe Manöver wie vorhin wiederholen wollte, so mußte ich mich jetzt an ihm vorüberbewegen. Ich tat’s auch ziemlich nachdrücklich, das Auge fest auf ihn gerichtet. Da enthüllte er wie ein Verschwörer für ein paar Sekunden sein blasses Gesicht, blasser als das meiner Hausgenossen, seine eingefallenen Wangen und einen dünnen schwarzen Bartanflug, der wirkte wie gemalt. Gramumflorte Augen, ich muß mich gewissenhaft verbessern, relativ graumumflorte Augen versenkten sich in die meinen. Es war Rembrandts König Saul, derselbe, der von Jung-Davids Gesang erschüttert, seine Tränen verbergen will, indem er einen Vorhang an seine Augen zieht. Eine solche Gebärde hatte er jetzt nicht nötig, da hier weder ein junger Held sang noch auch Tränen in seinen Augen standen. Es ist selbstverständlich, daß Rembrandts König Saul in dieser mentalen Welt weit aufgehellter sich präsentierte als im Original. Es waren nicht Mond- und nicht Sonnenaugen, mit denen er mich gramvoll ironisch betrachtete, sondern Sternaugen. Sie zwinkerten mir zu, wie ich dicht an ihm vorbeistrich, so daß ich mich gezwungen fühlte, ihn flüsternd zu begrüßen:
    »König Saul, Friede sei mit dir …«
    »Sehr richtig«, flüsterte er noch leiser zurück, »mein Name ist Io-Saul Minjonman.« Als ich aber eine Unterhaltung beginnen wollte, winkte er mir verschwörerisch ab und gab mir einen deutlichen Wink, ich möge in seiner Nähe bleiben, doch unbekannt tun. Ohne seine Lippen zu öffnen, zischte er:
    »Sie werden von allen Seiten beobachtet. Bemerken Sie’s doch endlich! Was brauchen Sie

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