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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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schattige Seitentäler, in denen sich der aggressive Sinn der Hauptsätze selbst verdunkelte:
    »Sie kommen gerade vom Großbischof, nicht wahr, Doktus? Sie bemerken, ohne Zweifel, daß ich Sie Doktus nenne und nicht Seigneur. Seigneur ist schwachsinnig und ein Ausruf hoffnungsloser Unbildung. Doktus gibt es zwar auch nicht mehr, aber es klingt wenigstens stilvoll. Also, Doktus, Sie waren beim Großbischof in seinem Sephirodrom. Vorher waren Sie in seiner Kirche, und man hat Sie ein bißchen für den Scheiterhaufen präpariert. Verschweigen Sie mir nichts, erzählen Sie mir nichts, es ist mir schon zu viel was ich selbst weiß. Hat er Ihnen mit einem Imbiß aufgewartet?«
    »So ist es«, nickte ich, »ich habe zwei Becher herrlichen Weines getrunken und nach mehr als hunderttausend Jahren wieder am irdischen Brote geknabbert …«
    »Wär’s nur simpel irdisches Brot«, seufzte Io-Saul zweideutig mit einem Blick von unten: »Hat Ihnen Brot und Wein gemundet?«
    »Ausgezeichnet«, versetzte ich, »ebensogut wie mir vorher der Käse des Arbeiters geschmeckt hat.«
    »Es ist Ziegenkäse«, bemerkte Minjonman, mit sichtbarem Abscheu die Handflächen nach außen kehrend. »Heidnischer, epikuräischer, ungebildeter Ziegenkäse. Wem dreht sich dabei nicht der Magen um?«
    »Ist das nicht ein gewisses Vorurteil, Rabbi Saul«, fragte ich, »und Sie scheinen sogar gegen Brot und Wein voreingenommen zu sein?«
    »Nicht im geringsten, Doktus«, zwinkerte er. »Brot und Wein ist das Zweitbeste, was es auf Erden gibt. Das einzige, was ich gegen Brot und Wein habe, daß beide nicht allgemein erhältlich sind.«
    »Ich glaube Sie zu verstehn, Io-Minjonman«, nickte ich. »Auch Sie kommen von den Anfängen der Menschheit her wie ich. Mein Freund B. H. mag daran gar nicht erinnert werden. Verzeihen Sie mir also, denn eine allzu alte Herkunft scheint nicht gerade ein Adelstitel zu sein. Die mentalen Suppen und Cremes sind zwar wohlschmeckender und inhaltsreicher als alles, was man seinerzeit vorgesetzt bekam, aber indem sie den Gaumen erfreuen, beschäftigen sie zugleich die geistige Vorstellungskraft und vermindern dadurch die alte animalische Lust des Schnabulierens. Brot und Wein aber, sehen Sie, bleibt Brot und Wein, nicht mehr und nicht weniger …«
    Minjonman sah mich mit einem samtigen Vorwurfsblick an, wobei ein unterdrückter Spott um seinen Mund zuckte und er seine Handflächen mit einer viel zu großen Gebärde nach außen kehrte.
    »Brot und Wein ist Brot und Wein«, sagte er singend, »wenn es nicht zufällig gerade Leib und Blut ist …«
    »Sind Sie damit noch immer nicht fertig geworden«, lächelte ich. »Nach so vielen Weltzeiten?«
    König Saul zog den schwarzen Burnus fester um seinen schmalen Körper. Er blickte an mir vorbei, die Achseln zuckend:
    »Fertig geworden, ich? Wieso ich? Ich habe ja niemals angefangen damit. Jene sind damit nicht fertig geworden. Na, der abstruse, unausrottbare Aberglaube ist lange nicht das Ärgste an ihnen. Finden Sie’s aber geschmackvoll, einen Fremden, den man kurz vorher als häretischen Abgesandten Satans exorzisiert hat, sogleich darauf mit der potentiellen Materie des Sakraments in beiderlei Formen zu bewirten?«
    »Wem würde je so etwas einfallen, wenn er Wein trinkt und Brot ißt«, schüttelte ich den Kopf. »Was aber finden Sie das Ärgste an ihnen?«
    »Gar nichts«, wich mir Minjonman aus. »Ich komme mit den Leuten ganz gut vom Fleck. Sie haben mich oft gegen die Ziegenkäseesser geschützt, nachdem es ihnen langsam, langsam bewußt ward, daß sie ohne mich keinen zulänglichen Gott gefunden hätten …«
    »Wollen Sie mir nicht sagen, Saul Minjonman«, fragte ich hartnäckig, »was nach Ihrer Meinung schlimmer ist als Aberglaube?«
    »Man muß sich vertragen, Doktus«, sagte der Jude des Zeitalters. »Man muß miteinander auskommen, lebt man doch seit unendlichen Zeiten in nächster Nachbarschaft.«
    Nach diesen Worten blickte er sich mißtrauisch um, nicht anders als vorhin der Großbischof. Dann fuhr er leise fort:
    »Ich will Ihnen sagen, Doktur, was das Schlimmste ist: Der Selbstbetrug, der sich rechtfertigt, anstatt sich zu berichtigen. Jene bauen von Anfang an die kompliziertesten Stützgerüste um ihren Glauben, anstatt der Wahrheit wegen das Fundament neu zu legen. Die Wahrheit haben sie von uns bekommen, groß und einfach und unverzwickt und leicht und glaubwürdig, ebenso für Kinder wie für Weise. Sie aber haben die Wahrheit vermischt und vermanscht

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