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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Welthausmeier wohnt im Schilderhaus!«
    Nein, der Amtssitz des Erdballpräsidenten oder Geoarchonten war mehr als ein Schilderhaus. Es war eine Art von Wachtstube in einer grobgezimmerten Baracke, die an militärische Ubikationen gemahnte, wie ich sie seinerzeit, das heißt meinerzeit, gut gekannt habe. Nur der Farbanstrich in hellgrünen und hellblauen Streifen mochte in der verschütteten Erinnerung des Wiedergeborenen das Wort »Schilderhaus« heraufbeschworen haben, worunter man jene runden oder viereckigen hölzernen oder steinernen Kästen versteht, die dem auf und ab schreitenden Schild- oder Wachtposten Schutz während eines Unwetters bieten sollen. Des Welthausmeiers Schilderhaus lag am nördlichen Hochrande der Waagschale im Kranz der mir noch immer unverständlichen Architekturen, deren Symbole und Ornamente weit massiver die Erdoberfläche überragten, als es von der Mitte des Geodroms den Anschein gehabt hatte. Verglichen mit diesen Architekturen stach die absichtliche, ja übertriebene Niedrigkeit und Nichtigkeit des höchsten Amtssitzes mir ins Auge. Es war beinahe ein Trost zu denken, daß vermutlich auch der Erdballpräsident dieses Zeitalters in den luft- und lichtreichen Labyrinthen unter der Erde seine geräumig prächtige Dienstwohnung innehabe. Gleich hinter der ungehobelten Wachtbaracke oder, um bei dem falschen, aber merkwürdigeren Begriff zu bleiben, gleich hinter dem Schilderhaus des Geoarchonten wölbte sich eine weite, hohe Kuppel aus durchsichtigem Material, so daß man in das Innere dieses opalisierenden Kuppelraumes blicken konnte. Dort lagen auf Strecksesseln mit einander zugekehrten Fußenden, die einen Kreis bildeten, etwa dreißig regungslose Persönlichkeiten, die entweder wirklich schlummerten oder im Halbschlafe eine gesundheitsfördernde Bestrahlungskur durchzumachen schienen.
    »Ein Sanatorium?« fragte ich B. H.
    Er schüttelte lächelnd den Kopf:
    »Ganz im Gegenteil, mein Lieber; es sind die Zusammenstimmer.«
    »Wahrscheinlich Staatsbeamte, Verzeihung: Weltbeamte, die Feierabend machen?«
    »Die wichtigsten Weltbeamten sogar, F. W. Vielleicht wird dir das ungebräuchlichere Wort mehr sagen. Es sind die Symphronisten oder Zusammenstimmer. Sie stimmen im Geiste die scharf eingestellten Wünsche zusammen und halten dadurch die Ordnung im Reiseverkehr aufrecht. Es ist keine Kleinigkeit, das kannst du dir wohl denken, etwa tausend Reisen in der Minute zusammenzustimmen, denn viele Leute bewegen gleichzeitig dasselbe Ziel auf sich zu. Daß es zu keinen Zusammenstößen kommt, dazu ist schon wirklich eine höhere Mathematik vonnöten …«
    Obwohl die Spiegelfläche des Erdbodens nur in einem ganz schwachen Winkel nach oben anstieg, mußten wir uns vor dem Schilderhaus des Geoarchonten doch wie richtige Eisläufer in Schleifen und Bögen umeinander bewegen, damit wir vom Rande der Waagschale nicht wieder hinabglitten, dem Denkmal des Letzten Krieges entgegen. Die Menschenmauer hielt ziemlich weiten Abstand von unserer Hausgruppe, die sich nur um den Fremdenführer dieses Zeitalters und zwei oder drei Komiteemitglieder vermehrt hatte. Was mir als dem Kinde meiner Zeit sofort als sehr bedenklich auffiel, war der Umstand, daß des Erdballpräsidenten lächerliches Schilderhaus völlig unbewacht und ungesichert war. Weit stand die gestreifte Tür offen. Kein Leibgardist, kein Wachtposten, kein Detektiv, kein Schutzmann, kein Konfident, ja nicht einmal ein ordinärer Portier hätte einem präsumtiven Attentäter den Eingang verwehrt. Das Metier des Welthausmeiers schien demnach weder sehr beneidet noch auch umworben zu sein. Ich versuchte, auf meinen Schlittschuhen immer in B. H.’s Nähe zu bleiben.
    »Wie ist der Name seiner Exzellenz, des gegenwärtigen Geoarchonten?« fragte ich.
    »Er hat keinen Namen«, erwiderte B. H. leise.
    »Ich meine, wie er wirklich heißt, wie er bürgerlich heißt …«
    »Der Welthausmeier heißt überhaupt nicht. Weder wirklich noch bürgerlich. Bei der Investitur wird sein Name feierlich aus allen Dokumenten gelöscht. Sogar sein ›Io‹ hat er aufzuopfern.«
    »Das muß aber sehr unangenehm sein«, entfuhr es mir.
    Der Hausweise, der meinen Ausruf gehört hatte, blieb dicht vor mir stehen:
    »Es gehört zu meinen Pflichten, Seigneur, Ihnen einen Abriß der Konstitution zu geben …«
    Er kam nicht weiter. Denn schon hatte ihn der jach heranstürmende Wortführer unterbrochen (welche Geschmeidigkeit im hohen Alter):
    »Ihre Pflicht ist die

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