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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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diesem Match über Sophistes Io-Clap vierundzwanzig zu siebzehn gesiegt.«
    Der Bleistiftstummel des Uranographen flog über den Käszettel, so daß das hinkende Schreibpult noch mehr wackelte als vorher; als völlig uninteressierter Redakteur zeichnete er die Arithmetik meiner Wahrheitsfindung getreu nach, ohne sie anzuerkennen oder zu verwerfen. Ich freilich war sehr stolz auf mein Urteil als Umpire. Die Formel meiner Wahrheitsfindung lautete mir im eigenen Ohr wie ein Newtonscher Grundsatz: »Zwischen zwei Wahrheiten, die demselben Thema zur Erkenntnis dienen, ist diejenige mit der gelben Handgelenkschleife preiszukrönen, welche weniger Worte und Silben zu ihrem Ausdruck vonnöten hat …«
    Jetzt, lang nach meiner Rückkehr aus jener zukünftigen Gegenwart in unsere gegenwärtige Gegenwart, finde ich den lauten Erfolg meines Wahrspruchs sowohl unverständlich als auch übertrieben. Das mit der Wortzahl als Gradmesser der Wahrheit war doch eher ein leichtfertiger Witz als ein ehrliches Prinzip philosophischen Forschens, zumal im Hinblick auf Ernst und Erhabenheit unserer Streitfrage. Sei es wie es sei, dort und damals, im fast taghellen Sternlicht empfand ich heitere Genugtuung darüber, daß ich mich nicht blamiert, sondern trefflich aus der Affäre gezogen und dazu noch ein neues Prinzip aufgestellt hatte. Das Verwunderliche war, daß dieses Prinzip – wer zu viel Worte macht, hat als Philosoph verloren – »der Menge« auf dem ungeheuren Geodrom sofort einleuchtete. Applaus und metallenes Beifallsgetrampel von abertausend Schlittschuhen wirkte elementar. Es war gerade das Pointierte, Ironische, der leichtgeschürzte Ernst meines Urteils, was dem mentalen Zeitalter gefiel, das vor heftigen Berührungen durch Geist und Gefühl zurückschauderte. Überdies schätzte man mehr das Äquivalent für attisches Salz und gallische Würze als das für deutsche Gründlichkeit, wie es sich im Sophistes Io-Clap durch die Jahrzehntausende fortgeerbt zu haben schien. In dem Beifall, den ich erntete, mochte sich sogar Überdruß an den Professoren und am ewigen Thema dieses Wettstreits entladen. Eines aber muß immer wieder gesagt werden: Heute – ich spreche von der Zeit, in der ich diese Seiten schreibe – heute wäre die öffentliche Diskussion eines solchen Themas vor dem breitesten Publikum der Welt eine blanke Unmöglichkeit, da nur einzelne und wenige den Bildungsgrad, den Sprachschatz, die Freiheit von materiellen Vorstellungen und die geistige Entwicklungsstufe besitzen, um einer philosophischen Deduktion überhaupt folgen zu können. Damals – ich spreche von jenem Abend, der in rund hunderttausend Jahren kommen wird – besaß diese Freiheit von materiellen Vorstellungen und diesen Bildungsgrad so gut wie jedermann, da schon seit grauestem Menschengedenken jedermanns Zeit ausschließlich aus freier Zeit bestand und die Menschheit, nachdem sie die Natur gebändigt hatte, ohne intimen Umgang mit dem Geisterreich und dem Reich des Geistes an Langerweile verreckt wäre. Die Sache mit meinem unerwarteten Erfolg lag aber noch verwickelter. Ich hatte zwischen zwei Typen zu richten gehabt. Von diesen beiden Typen war Io-Sum der Einfache, der Gläubige, der Inspirierte, Io-Clap der Intellektuelle, der Ungläubige, der Skeptiker. Diese beiden Typen repräsentierten, wie mir bald aufzudämmern begann, einen uralten Zwist, der auch durch die gegenwärtige Menschheit ging. Ich hatte Io-Sum, dem Inspirierten, meinen Kranz gereicht. Bald wurde mir durch die schlecht verhehlte Verstimmtheit des Wortführers, des Hausweisen und des Beständigen Gastes klar, daß ich wider den Wunsch dieser meiner neuen Freunde das Urteil gefällt hatte. Die Junggesellen gehörten alle der älteren und ältesten Generation an. Io-Fagòr, der Brautvater, hatte ja während des Festmahles seiner Madame Urgroßmama, der allerschönsten Ahnfrau, das Kompliment gemacht, man habe nur zu ihrer Jugendzeit das richtige Leben gelebt. Zugleich aber hatte derselbe Io-Fagòr die Dekadenz der modernen Jugend darin erkannt, daß sie nicht mehr dem reinen Spiel ergeben sei, sondern in überwundene Leidenschaften zurückzusinken drohe, ähnlich wie auf dem vom eisengrauen Rasen vernunftvoll bedeckten Erdball da und dort jene absonderlichen Dschungel aufplatzten, mit ihren »Hühnern und Gockelhähnen« und, wie Igo-Fagòr es genannt hatte, dem »säuischen Getümmel«. Für das Zurücksinken in überwundene Leidenschaften hatte mir Bräutigam Io-Do durch

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