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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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seine kriegerische Sammlung und seinen Spleen für Fernsubstanzzertrümmerer und Pulverflinten ein überraschendes Exempel gegeben. Mir schwante also bereits am ersten Abend meines Aufenthaltes, daß die älteren Leute hier einer Art von Rokoko, einem ancien régime nachtrauerten, in welchem das mentale Zeitalter die leichten Farben bevorzugt hatte (das Hellgrün und Blaßblau der Reisekügelchen), daß aber die Jugend nunmehr schwerere und tiefere Tinten ins Leben zu schmuggeln begann, vielleicht, wer weiß es, sogar ein veritables Blutrot.
    Während all diese Widersprüche mein trotz aller Strapazen überklares Hirn durchzuckten, das unbeschadet so langer trainingsloser Nicht-Existenz sich den enormen Anforderungen dieses Tages nicht minder gewachsen zeigte als mein Körper, flogen wir, unsere Hausgruppe und ich, kreuz und quer durch die applaudierende und schleierschwenkende Menge über die zentrale Plaza. Ich nahm gleichsam auf diese Weise dem fremden Zeitalter die Parade ab, ähnlich wie einst hohe Staatsbesuche es gemacht hatten, Könige, Präsidenten, Prinzen, Marschälle, Premierminister, wenn sie an der Spitze ihrer Eskorte die Ehrenkompanien abschritten oder abritten. Am meisten schien meinen Erfolg Bräutigam Io-Do zu genießen, der schließlich die unmittelbare Ursache dieses Erfolgs war und ihn auf das Konto seines großen Lebensfestes setzen konnte. Zeremonienmeister aber war diesmal nicht der Wortführer, der sich noch immer verschnupft zeigte, weil ich in meinem Verdikt dem Skeptizismus und Agnostizismus ein Schnippchen geschlagen hatte, sondern der Beständige Gast, ich meine jenen, welcher in seiner plastisch silbernen Allongeperücke einem barocken Serenissimus glich. Jetzt sauste er an der Spitze unseres Trupps. Hie und da hob er die Hand, dann mußten wir unsern Hui unterbrechen. Sofort wurden wir von Neugierigen umrundet. Ein für mich neues Phänomen dieses astromentalen Zeitalters bestand auch darin, daß jeder jeden zu kennen schien. Wie wenige Millionen mochten es sein, auf welche das Menschengeschlecht zusammengeschrumpft war? Ohne Zweifel auf genau so viele, wie zu seiner Fortfristung die gereifte Erkenntnis als notwendig festgestellt hatte. Es gab jedenfalls niemanden, der den andern nicht grüßte und von diesem nicht begrüßt wurde. Der Gruß, umständlich und überaus formell, gemahnte mich teils an die Art, wie zu meiner Zeit Chinesen sich begrüßt hatten, teils aber an den Gruß preußischer Offiziere bei Betreten eines Zimmers, denn man neigte den Kopf bei völlig steifem Oberkörper, um die gebrochene Linie zu vermeiden.
    B. H. begründete die zeremoniöse Intimität aller mit allen damit, daß die Menschen im Vollbewußtsein dessen, daß sie nicht irgendeiner im Kampf ums Dasein siegreichen Tierrasse angehörten, sondern die einzige Menschheit und somit die Mitte des Universums waren, einen höheren Grad von gegenseitiger Achtung einander zu zollen gelernt hatten. Man war ein Bekannter schon durch die Tatsache, daß man Mensch war. Und einen Bekannten nicht zu grüßen, das allein hätte schon bedeutet, ihm Mißachtung und Feindseligkeit zu beweisen. Wir blieben also dann und wann stehn, wenn der Beständige Gast es gebot, und ich machte Kopfneigungen bei steifem Oberkörper und nahm ebensolche Kopfneigungen entgegen, obwohl ich dieser Menschheit nur im Sinne der zurückeilenden Zeitdimensionen angehörte, nicht aber im Sinne des gleichzeitigen Raumes, in dem ich mich nur auf Widerruf befand, was ich in diesem Augenblick sehr hell und mit einem leisen Amüsement empfand. Immer wieder wurden Fragen an mich gerichtet, die seit den Anfängen der Menschheit bis zu ihrem Ende immer dieselben sind und bleiben werden:
    »Ist das Ihr erster Besuch des Geodroms, Seigneur?«
    »Jawohl, es ist mein erster.«
    »Und ist Ihr Eindruck wirklich so groß, wie die ›Abendsterne‹ es soeben behaupteten?«
    »Mein Eindruck ist gigantisch.«
    »Damit machen Sie uns eine große Freude, Seigneur.«
    Warum machte ich ihnen eine so große Freude mit dem bißchen leeren Lob? Warum waren sie so eitel? Waren sie denn so arm? Sollte man auch heute noch an Minderwertigkeitsgefühlen leiden?
    »Sagen Sie offen, Seigneur, erkennen Sie an uns einen Fortschritt?«
    »Fortschritt ist ein zu schwaches Wort für den Bergweg der Höherentwicklung, den Sie zurückgelegt haben, meine Damen und Herren.«
    »Hat irgend jemand in Ihren Tagen, Seigneur, diesen Bergweg vorhergeahnt?«
    »Nein! Zu meiner Zeit war die

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