Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Ein milchweißes, sich kühl anfühlendes Gesicht hatte diese Puppe, mit einem rosigen Mund, der leicht geöffnet war und je zwei Perlzähnchen oben und unten sehen ließ. Blondhaarig war sie wie Salimas viel ältere Halbschwester Sharifa. Und das Wunderbarste daran: Wenn Salima die Puppe hochnahm und wieder hinlegte, schloss diese nicht nur die meerblauen Augen mit den dichten Wimpern; aus dem weichen Leib, ungefähr da, wo die seidige Schärpe umgebunden war, kam zudem ein gedämpft krähender Laut. »Maahma«, rief die Puppe dann, und Salima wurde jedes Mal die Kehle eng vor Glückseligkeit. Ihr Vater selbst hatte ihr diese Puppe geschenkt, und Salima hatte sich gleich ein Stückchen größer gefühlt ob dieser Auszeichnung vor all den anderen Kindern.
Gewiss, ein Steckenpferd, wie Ralub es bekommen hatte,wäre auch fein gewesen. Oder ein Spielzeuggewehr aus Holz oder eine Eisenbahn aus Metall … Die Puppe in ihrem Arm hatte Salima daran gehindert, sich mit der Kinderschar um den Inhalt der gut zwei Dutzend Kisten zu balgen. Sie dafür jedoch beiseitezulegen, nein, das hatte Salima nicht über sich gebracht; zu groß war ihre Furcht, die Puppe könnte im Getümmel, das im Innenhof herrschte, Schaden nehmen oder verloren gehen, und deshalb hatte sie schweren Herzens nur zugesehen.
Einmal jedes Jahr sandte der Sultan seine Schiffe aus, um Waren in die Welt hinausliefern zu lassen. An Bord befanden sich stets auch Listen dessen, was in den Palästen des Sultans an Gütern benötigt oder begehrt wurde: Stoffe vor allem und Garne. Bänder, Glasperlen, Spangen, Schließen und Knöpfe. Geschirr, Kämme, Bücher, Duftöle und Räucherwerk – und die Uhren aus England und aus Deutschland, nach denen man auf Sansibar ganz verrückt war.
»Meinen Kindern und Frauen nur das Beste!«, lautete die Anordnung des Sultans. Und wehe dem Kapitän, der sich in England, Frankreich, Ostindien oder Amerika Plunder andrehen ließ, den die Kinder mit langen Gesichtern, die sarari mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase bedachten! Salima hatte bislang noch nicht herausgefunden, was genau einem Handelsfahrer drohte, der auf diese Weise bei ihrem Vater in Ungnade fiel. Es musste jedoch etwas Furchtbares sein, daran hegte sie keinen Zweifel. Denn das Wort ihres Vaters war Gesetz. Hier auf Sansibar, entlang eines schmalen Streifens an der afrikanischen Küste und im Oman.
Die Ankunft der bestellten Dinge war ein großes Ereignis, das nie ohne Geschrei, Zank und Eifersüchteleien ablief. An Ort und Stelle ließen sich die Frauen, mit Scheren bewaffnet, auf der Erde nieder, um ihren Anteil an den Stoffen von den Ballen abzutrennen, bevor jemand ihnen den streitig machenkonnte, und schnitten dabei nicht selten im Eifer des Gefechts gleich mit in die Gewänder, die sie am Leib trugen. Ob jung, ob alt, ob Mann oder Frau, Herrin oder Sklavin: wenn es ums Habenwollen ging, waren sie alle gleich. Und auch bei den Kindern – denen des Sultans und denen seiner Söhne, dem Nachwuchs der Ammen, der mit im Palast lebte, und bei den Sprösslingen der Diener – ging es nicht anders zu. Jedes versuchte, sich das Schönste und Beste herauszupicken unter den Trommeln, Pfeifen und Flöten, unter den Peitschen und Kreiseln, Mundharmonikas und Trompeten; unter den für Kinderhände gemachten Angeln, an deren Schnüren kleine Magneten baumelten, mit denen man metallene, bunt bemalte Fische fangen konnte. Nur gut, dass die Kinder des Sultans sich auf die Paläste der Insel verteilten und die meisten von ihnen in Beit il Sahil lebten – das dachte Salima oft, wenn es etwas Besonderes gab, so wie gestern. Bis sich die Jungen und Mädchen von den leer geräumten Kisten entfernten, die Arme übervoll mit Spielzeug, war für Salima nur eine Ente auf Rollen übrig geblieben, die mit dem Kopf nickte, wenn man sie an einer Schnur hinter sich herzog. Und eine Spieldose, in der winzige Männlein und Weiblein um einen bändergeschmückten Baum Ringelreihen tanzten, wenn man den runden Deckel aufklappte. Eine schrille, unharmonische Melodie ertönte dabei, die Salima grässlich fand und die ihr in den Ohren wehtat. Hübsch fand sie dieses Dingelchen gleichwohl.
Aus Marseille war jenes Schiff gestern gekommen, das hatte Salima im Stimmengewirr aufgeschnappt. Marseille … welch ein verheißungsvoller Name! Er klang nach der lockenden Ferne und zerging auf der Zunge! Eine Stadt, die so genannt wurde, konnte nichts anderes sein als ein Hort der Pracht und Herrlichkeit!
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