Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Zumal wenn es dort derart Wunderbares zu kaufen gab wie diese Puppe …
Khalid, einer ihrer erwachsenen Halbbrüder, hatte seine vom Vater übernommene Plantage mit dem festungsähnlichen Palast im Inneren der Insel sogar nach dieser Stadt benannt.
Marseille – Laute, die weich durch den Mund flossen und den Rachen hinabtroffen wie Honig. Für Salima schmeckten sie fruchtig wie die sprudelnden Säfte, die ihr Vater von dort kommen ließ und die so herrlich auf der Zunge prickelten. Und süß – Marseille schmeckte süß! Nach zarten Blüten und herbfrischer Minze, nach würzigem Anis und säuerlicher Bergamotte, wie die französischen Bonbons, die sich ihr Vater immer liefern ließ und die er seinen Kindern bei ihren allmorgendlichen Besuchen zuzustecken pflegte.
Unter Salimas Zunge sammelte sich Speichel, und sie musste mehrmals schlucken vor Verlangen. In den Bauch eines Handelsschiffes passte unendlich viel; bestimmt hatten sich unter der Fracht des Seglers auch solche Bonbons befunden …
Auf dem Bauch robbte sie rückwärts über die gesamte Breite des Bettes und ließ sich langsam hinabrutschen, zwischen der Kante der Matratze und den Tüllwolken des Betthimmels hindurch, bis sie den mit weißen Matten bedeckten Fußboden ertasten konnte. Noch war sie zu klein, um die auf ihren gedrechselten Beinen hochgebockten Betten, unter denen bequem noch jemand zu liegen kommen konnte, alleine zu erklimmen. Doch selbst ihre Mutter griff auf die Hilfe einer Sklavin oder auf einen Rohrstuhl zurück, um auf das ihre zu gelangen – ein Stuhl, den man umtriebigen Kindern nicht gestattete, um sicherzugehen, dass sie in ihren Betten blieben. Kindern wie Salima, die nun nicht wenig stolz war, die Erwachsenen ausgetrickst zu haben.
Dem triumphierenden Kichern, das in ihrer Kehle kribbelte, gab sie dennoch nicht nach; barfuß huschte sie durch den Raum, am Bett ihrer Mutter vorbei. Salima reckte den Hals.Hinter dem feinmaschigen Gewebe konnte sie den hochgewachsenen, starkknochigen Leib erahnen, der sich doch so weich anfühlte, sah das Haar ihrer Mutter hervorschimmern: ein mehrere Ellen langer, armdicker Strang pechschwarzer Seide. Einen Atemzug lang rang Salima mit sich, vielleicht doch lieber unter das Netz zu schlüpfen und so lange zu schmeicheln oder zu toben, bis ihre Mutter oder eine Sklavin sie in das Bett hob. Für ein Stündchen der Seligkeit, in der sich Salima an ihre Mutter kuscheln und sie ganz für sich haben konnte. Ehe der Palastflügel der Frauen zum Leben erwachte und andere Kinder und die sarari sie für sich in Anspruch nahmen. Djilfidan, die Tscherkessin, war die angesehenste und beliebteste aller Frauen hier in Beit il Mtoni, das wusste Salima. Kein Tag verging, an dem ihre Mutter nicht an ein Krankenlager gerufen wurde, um aus den Büchern, die sie ihr Eigen nannte, vorzulesen und Trost und Kraft zu spenden; kein Tag, an dem nicht ihre Hilfe bei besonders kniffeligen Handarbeiten benötigt wurde, von denen sie so viel verstand wie keine Zweite, und keiner, an dem niemand ihren Rat suchte oder einfach ein Schwätzchen mit ihr halten wollte.
Die Verlockung, die von den Gedanken an die französischen Bonbons ausging, erwies sich jedoch als übermächtig – Vielleicht bekomme ich eine ganze Handvoll? Oder gar zwei? –, und Salima schlich sich durch die stets offen stehende Tür hinaus.
Im benachbarten Gemach waren die Sklavinnen tätig, nahezu geräuschlos in ihren geschmeidigen Bewegungen. In großen Krügen hatten sie Wasser aus dem Becken im Innenhof heraufgebracht, das Wasser des Mtoni, der mittels eines ausgeklügelten Systems die Palastanlage durchfloss. Bei den Badehäusern mit ihren riesigen Becken beginnend, wässerte der Mtoni Blumen, Sträucher und Bäume, füllte die Tränken der Tiere und die Zisternen der Menschen, bis er sich jenseitsder vordersten Palastgebäude ins Meer ergoss. Salima stahl sich an den Sklavinnen vorbei, die damit beschäftigt waren, Jasminöl und Rosenessenz in die Waschkrüge zu träufeln und die Orangenblüten aus den am Abend zuvor mit Moschus beräucherten Kleidungsstücken zu zupfen, die über Nacht zwischen die bestickten Stoffe gelegt worden waren.
Eine Tür weiter sah Salima, wie Adilah, die derzeitige Amme, breitbeinig auf einem Stuhl hockte und ganz darin versunken war, ihren kleinen Sohn zu stillen, der rußbraun war wie sie selbst. Mit ihren nackten Zehen tippte sie dabei in sanftem Rhythmus an die niedrige Wiege, um Abd’ul Aziz, Salimas jüngsten
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