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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Halbbruder, in den Schlaf zu schaukeln. Durch seine abessinische Mutter von kaum hellerer Hautfarbe als sein Milchbruder, lag der kleine Prinz splitternackt und mit dickem Bäuchlein auf seinen Kissen, augenscheinlich satt, höchst zufrieden und, wie an seinen schweren Lidern und dem herzhaften Gähnen abzulesen war, sehr, sehr müde.
    Unbemerkt langte Salima am Ende des Flures an und hopste die Treppe hinab, mit jedem Satz eine Stufe nehmend. Denn wie alle Treppen in Beit il Mtoni war auch diese tückisch durch ihre hohen und unregelmäßigen Stufen, die noch dazu schief ausgetreten und von gefährlichen Einkerbungen und Rissen übersät waren. Salimas gespreizte Finger suchten bei jedem Sprung Halt an der rauen Wand; dem Treppengeländer – obwohl neu – traute sie nicht mehr, seit sein Vorgänger unlängst über Nacht einfach zusammengebrochen war, morsch geworden unter den Jahren in der feuchten, salzgetränkten Luft und dem Fraß von Ungeziefer, das als mahlendes Flüstern zu hören gewesen war. Sie atmete erleichtert auf, als sie unbeschadet unten angelangt war, und flitzte durch den Innenhof.
    Feingliedrige Gazellen umstanden eine Raufe und zupften sich ganze Maulvoll an Gräsern und Kräutern heraus.In buntem Durcheinander klaubten Perlhühner, Gänse und Enten die Getreidekörner auf, die eigens für sie ausgeschüttet worden waren. Hochmütig stolzierten weiße Flamingos mit schwarzen Schnäbeln auf ihren strichdünnen Beinen umher, und ein blauschillernder Pfau blickte Salima vorwurfsvoll an, während er prahlerisch seine Schleppe auffächerte. Unwillkürlich suchte Salima mit Blicken den Boden nach mehr oder weniger gut versteckten Eiern ab, wie es den Kindern eine Gewohnheit war. Denn der oberste Koch des Palastes belohnte sie mit Naschwerk, wenn sie ihm welche brachten. Vor allem bei Straußeneiern zeigte er sich großzügig, glich doch das Aufsammeln der riesigen Eier einer Mutprobe, angriffslustig, wie diese Vögel waren und leidenschaftlich mit ihren scharfen Schnäbeln auf mögliche Eierdiebe einhackten. Doch Salima war heute auf Exotischeres aus als auf süße Reiskuchen, klebrige Mandelplätzchen und Stücke weicher halawa aus Sesam, Zucker, Honig und Pistazien.
    Sie hatte das Ende der Freifläche erreicht und stürmte in das vorderste Gebäude des Palastes hinein, das unmittelbar am Meer lag. Noch eine gefährliche Treppe hinauf, noch einen Flur entlang, ohne von Leibdienern erwischt zu werden, dann konnte Salima Atem schöpfen. Auf Zehenspitzen tippelte sie durch die Gemächer ihres Vaters, in denen allerhand fremdländisches Mobiliar stand: etwas, das »Sofa« hieß, und mannshohe Schränke mit Türen. Sogar Gemälde, auf denen Menschen abgebildet waren, hingen an den Wänden. Dabei sagte die Lehrerin immer, dass kein guter Gläubiger sich solch frevelhafte Werke je ins Haus holte … Salima schnaubte verächtlich in sich hinein. Das zeigte doch nur einmal mehr, dass die Lehrerin von den wirklich wichtigen Dingen auf der Welt rein gar nichts verstand.
    Auf der Türschwelle am Ende des letzten Gemachs blieb sie schließlich stehen.
    Es gab keinen schöneren Ort als diesen hier. In ganz Beit il Mtoni nicht, auf ganz Sansibar nicht und auch sonst nirgends auf der Welt, dessen war Salima gewiss. Nichts konnte schöner sein als die bendjle , der gewaltige Vorbau, der weit über den Strand hinausragte, von starken Pfählen im Sand sicher gestützt. Kunstvolles, farbig angestrichenes Schnitzwerk lief um den Balkon, der genug Raum für eine ganze Festgesellschaft geboten hätte, beschattet von einem runden, zeltähnlichen Dach aus Holz, das innen mit Bordüren, Blattranken, Granatäpfeln und Blüten, groß wie Kinderköpfe, bemalt war.
    Die vier Tage der Woche, die sich Sayyid Sa’id bin Sultan, Sultan von Sansibar, Muscat und Oman, nicht in seinem Stadtpalast Beit il Sahil aufhielt, war er fast immer auf der bendjle zu finden. Von hier aus konnte man über den Meeresarm hinweg mühelos bis nach Afrika sehen, mit dem aufgestellten Fernrohr sogar weit bis in das Land hinein. Die il Rahmani , das massige Kriegsschiff des Sultans, lag stets in Sichtweite und einsatzbereit vor Anker, umschwärmt von Booten und kleineren Segelschiffen. Rohrstühle für die Besucher des Sultans standen bereit, für des Sultans Hauptfrau Azza bint Sayf beispielsweise, für seine erwachsenen Kinder, mit denen er mehrmals täglich hier Kaffee trank, oder für jeden, der den Sultan um ein Gespräch ersuchte. Wie Salima an

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