Sternendieb - Roman
fragte die Bootsführerin. Sie klang gelangweilt und verdrossen, auch dann noch, als Tabea verneinte.
Ein Hesper war wie der andere. Sie erstickten alle an feindseliger Unterwürfigkeit. Die Atmosphäre dieser Welt hatte die langen Wangen dieses weiblichen Exemplars braun gesprenkelt. Sie beschwerte sich über die Kälte.
»Als die Kuppel noch stand, war’s besser«, sagte sie. »Waren Sie schon mal hier, als wir die Kuppel noch hatten?«
»Das war vor meiner Zeit«, meinte Tabea.
»Wir hatten es damals richtig warm«, sagte die Bootsführerin. »Dann rissen sie die Kuppel runter. Solarkraftwerke, hieß es.« Ihre unsteten Züge verschoben sich mürrisch. »Nichts. Sie streiten immer noch, streiten ums Geld.«
Sie hob die Ellenbogen. Sah aus wie ein Bündel aus verdorbenem grünem Pfeffer in einem braunen Filzmantel. Die Ohrläppchen glänzten welk und knitterig, die Gesichtspolster hingen schlaff herab. Spuren dauernder Verzweiflung. Wie lange mochte sie sich schon so durchgeschlagen haben auf den Wasserstraßen, wie lange sich beklagt haben bei teilnahmslosen Passagieren, und nie hatten Geld und Kraft für die lange Heimreise gereicht?
Sie fegten den blutroten Kanal hinunter in die Außenbezirke der neuen Stadt. Der Wind trug die Schreie der Wasserverkäufer und das Summen der Taxis heran. Die Geräusche waren scharf und hallten über das schmutzige Wasser. Auf den sonnenbeschienenen Stufen unter der Malibu-Arkade saßen palernische Prostituierte mit krausem Wollschopf, rauchten und ließen die Beine baumeln. Sie johlten und winkten den vorbeibrausenden Booten zu. Tabeas Schiffsführerin machte ihrem Unmut Luft. Tabea rutschte auf der rissigen roten Sitzbank nach vorn.
»Ich muss fonieren«, sagte sie.
Sie duckte sich in die Telehaube und stellte mit einer Berührung des Sensors an der Kinnschlaufe die Funkverbindung her. Das pixelige kleine Cybervisier wartete mit einer kurzen Melodie und
dem Emblem der Fongesellschaft auf. Dann kamen Werbespots, mehr als zu jeder anderen Jahreszeit. In einem Fenster unten links sah Tabea ihren Kontostand feuchtfröhlich davonwirbeln.
Sie wählte das Möbiusband. Ein Anrufbeantworter wimmelte sie ab. Sie versuchte eine andere Nummer. Wartete.
Sie kamen an einer Schwefel-Feluke vorbei. Die Mannschaft bestand aus Kindern. An einer langen schwarzen Leine schleppten sie einen Wüstenrochen hinter sich her. Der graubraune schuppige Flossenleib tauchte unter, dann flatterte er wieder durch die kalte Luft.
Endlich bekam Tabea Verbindung. Auf dem Visier feixte ein öliges Gesicht, als sie sich identifizierte. »Willst du Karneval feiern?«
»Nein, ich bin geschäftlich hier«, sagte sie. »Carlos, was kostet heutzutage ein Achsenstabilisierungsquarz?«
»Für welchen Typ?«
»Kobold.«
»Fliegst du immer noch die alte Mühle? Eines Tages wird sie auseinanderfallen, während du gerade duschst.«
»Das erzählen mir alle«, sagte Tabea. »Komm, Carlos. Ich hab’s eilig. Wie viel?«
Er nannte ihr einen Preis. Sie fluchte.
Er zuckte mit den Achseln.
»Fliegende Antiquitäten sind ein teures Spielzeug«, sagte er mitleidslos. »Ich komm nicht an die Ersatzteile.« Er kratzte sich am Ohr. »Wie wär’s mit einer Navajo Scorpio? Zu besten Konditionen, versteht sich.«
»Verpiss dich, Carlos.«
Ihr kamen die Altairer von vorhin in den Sinn, die im Raumhafen über ihren Koffern und Paketen genäselt hatten. »Hör mal, Käpt’n Frank ist dir nicht zufällig über den Weg gelaufen?«
»Ein Quarz für eine Kobold, ja, der alte Frank wäre gut für so was«, grinste er. »Versuch’s auf dem Flohmarkt.«
»Innigen Dank, Carlos.«
»Und mach dir ein paar schöne Stunden, Tabea«, riet er ihr. »Wir haben Karneval.«
2
Karneval in Schiaparelli. In den Kanälen drängen sich die Wasserbusse voller Schaulustiger, die Brücken sind mit Girlanden aus Fähnchen geschmückt. Ballons steigen auf, und Feuerwerk explodiert. Die Stadt gärt im rauchig roten Licht. Obwohl die Polizeipatrouillen der Eladeldi allgegenwärtig sind, regiert einzig und allein das Vergnügen. Gehen wir zum Rubinteich, um uns die Gleiterduelle über dem Alkazar anzusehen? Oder in die Altstadt, wo die uralten, höhlenartigen Silos unter dem neuesten Raga erbeben und der Wein der Astarte das Herz der Jungen und Schönen höher schlagen lässt? Tausend Gerüche, von heißen Würsten und Schweiß, Phosphor und Patschuli, mischen sich in den Arkaden. In den Nachtkantinen klirren die Gläser und klappern die
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