Sternenfaust - 098 - Verloren
reglos verharrende Wesen. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter.
Das darf ich nicht zulassen! Der Anblick war schrecklich und faszinierend zugleich. Die Frau in der anthrazitfarbenen Uniform begann zu verschwimmen. Zumindest erschien es William im ersten Moment so, bis er erkannte, dass es die Entität war, die Teile von sich löste und Dana Frost darin einhüllte. William schauderte.
Nach und nach setzten sich die Partikel auf Dana. Ihre Haare begannen bereits sich in kleinen Wirbeln aus Sand aufzulösen.
William nahm all seinen Mut zusammen. »Das ist der falsche Weg!«, sagte er entschlossen und sprang vor. Er trat hinter Dana, packte sie an den Schultern und riss sie mit sich zurück.
Die Entität ließ Dana los. Für einen Augenblick hatte sie ausgesehen wie Yngvar, nun glätteten sich ihre Züge zu dem anderen Gesicht, das so markant geformt war und das William schon in einigen seiner Träume gesehen hatte. Die Onyxaugen der Wesenheit richteten sich mit unangenehmer Intensität auf ihn.
»Warum wurde der Vorgang der Wandlung unterbrochen?«
»Weil du kein Recht hast, Dana Frost ihre Individualität zu nehmen.«
Das Wesen trat auf William zu, der sich hastig vor die verwirrte Dana stellte.
Der Blick der Onyxaugen war unnachgiebig. »Es muss ergründet werden, warum Individualität als so wichtig empfunden wird. Du scheinst geeignet, das auch ohne Wandlung zu vermitteln.«
Die Entität streckte ihm die Hände entgegen. Zögernd nahm William die seinen von Dana fort und gab dem Wesen, was es wollte. Die kühlen schlanken Finger umschlossen seine Handgelenke. William fühlte sich gefangen, als ob ihm Handschellen umgelegt worden wären. Ein feines Prickeln fuhr über seinen Nacken. Auf was hatte er sich da eingelassen? Er spürte, wie sein Geist sich öffnete. Der Ansturm der fremden Macht weitete ihn und drang zugleich in ihn ein. Es fühlte sich unangenehmer an als bei Denuur. Das Erlebnis war anders als alles, was er bisher erfahren hatte. Langsam verblasste der Maschinenraum und er tauchte ein in seine Erinnerungen …
*
Es war ein einziges Wirrwarr. Gesichter, Menschen, unzählige Individuen, die er vor sich auftauchen und verschwinden sah. Rana Quaid. Frost. Die Mannschaft. Auch Yngvar MacShane und Ildiko Pangata. Er spürte, dass die Entität bei ihm war, dass dieses Geschöpf auf irgendeine Art wahrnahm, woran er dachte und seine Gedanken zu verstehen und zu lenken versuchte.
William sah Menschen aus seinem früheren Umkreis. Seinen Großvater. Die Mutter. Ein kurzes, verschwommenes Bild des Vaters.
»Freunde, Familie«, meinte die Entität nur für ihn hörbar. »Das alles gehört zu vielen Sternenvölkern und doch wären einige froh, sie dürften sich wandeln lassen …«
William sah sich neben dem Kridan Sun-Tarin sitzen. Vertieft in eines ihrer endlosen Gespräche über Gott und den Glauben. William berichtete gerade von der geheimen Gestalt, die allem innewohnte.
Nein , dachte er verzweifelt. So wird das nichts. Ich brauche klare Erinnerungen. Vollständige Erinnerungen. Gleichnisse, die vielleicht auf diese Weise vermitteln können, was ich der Entität mit Worten allein nicht nahebringen konnte …
Vor ihm tauchte seine Mutter auf. Diese Erinnerung hatte er lange vergessen. Er war ein intelligentes Kind, doch eben noch ein Kind. Seine Mutter trug einen kurzen Rock, nach dem er nun griff. Sie war gerade von irgendeinem Psychologie-Kongress gekommen und sah müde aus.
»Mama«, hörte William sich sagen. »Wann kommt Papa heim?«
Er sah wie das Gesicht seiner Mutter sich verschluss, wie die Trauer sie zu verschlingen drohte.
»Will, Papa ist tot.« Sie beugte sich zu ihm und nahm ihn auf die Arme. »Er ist tot. Er wird nicht mehr wiederkommen.«
William fühlte, wie verwirrt er darüber war. Er hatte seine Mutter das wohl schon einmal gefragt. Und doch fühlte er den Schmerz wieder neu, als sei das der Tag, an dem sein Vater starb.
»Nie mehr …«, wiederholte er leise. »Nie …«
William tauchte aus dieser Erinnerung auf. Er spürte, wie interessiert die Entität war, mehr zu erfahren. Über ihn und seine Gefühle. Über die Menschen.
Also gut … William riss sich zusammen.
Sie reisten weiter in seinen Erfahrungen. Plötzlich saß William auf einem Kunststoffstuhl. Er wohnte noch bei seiner Mutter und ging auf eine Schule, in der er es nicht immer einfach hatte. Es war noch nicht das Hochbegabten-Internat auf dem Mond, in dem er sich immer wohl gefühlt hatte.
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