Sternenfaust - 113 - Abgrund des Geistes
Krankenzimmer von Emma Kalani entgegenkroch, desto überzeugter war er davon, dass sie nie wirklich da gewesen war.
*
Schon lange, bevor er die Luke des Lüftungsschachtes geöffnet hatte, die in Emmas Zimmer führte, spürte er ihren Zorn. Sie wusste, dass er kam. Und sie war nicht gerade begeistert darüber. War wohl nichts mit der Ablenkung durch die Jungs von den Sicherheitsbehörden am Schott , dachte William missmutig.
Er hoffte nur, dass sie nichts Unüberlegtes tat. Um seinetwillen, und wegen der Menschen, die sich bei ihr befanden.
Ein Mensch … war sie das überhaupt noch? William wusste es nicht zu benennen, aber irgendein bis dato unbekannter sechster Sinn sagte ihm, dass an der jungen Frau, die ihn dort hinten erwartete, nur noch wenig wirklich menschlich war. Und dieser Gedanke machte ihn traurig.
Schließlich erreichte er das Ziel seines unbequemen Weges. Durch das Lüftungsgitter sah er Frida und McAllister, Kirchhoff und Weston. Es ging ihnen gut, allem Anschein nach. Die Paramedic wirkte ein wenig benommen, kümmerte sich aber um den regungslos am Boden liegenden Wachmann. Und mitten im Raum stand Emma Kalani, den Nadler fest umklammert, und starrte ihm, William, entgegen.
»Ich komme jetzt raus«, kündigte er an, und es klang blechern in der Enge des Schachtes. »Oder rein, je nachdem.«
Dann stieß er das Gitter fort, welches scheppernd zu Boden ging, kletterte mit den Füßen voran durch die Öffnung und kam im Zimmer zu stehen. Die Hawaiianerin reagierte mit einem angriffslustigen Lächeln im wilden Gesicht, sagte aber nichts und wartete ab. William nahm an, dass sie zweifelte. Und das deutete er als gutes Zeichen, immerhin hatte sie noch niemanden getötet.
»Mein Name ist William Beaufort, und ich bin ein alter Freund von Dana Frost«, stellte er sich vor. »Ich bin hier, weil ich glaube, Ihnen helfen zu können, Lieutenant. Nicht mit Medikamenten und warmen Worten, sondern wirklich helfen. Ich möchte Ihnen zeigen, wie Sie mit dem, was Ihnen gegeben wurde, richtig umgehen können.«
Emma schüttelte den schweißnassen Kopf, erst langsam, dann immer schneller werdend. Sie ließ einen leisen Jammerlaut hören, immer in gleicher Tonlage, der schließlich in einen Singsang aus Worten überging. »Ich will nicht lernen. Ich will nicht umgehen. Ich will, dass es aufhört. Dass es wieder wie früher wird.«
»Das verstehe ich«, sagte er und nickte. Er verstand es wirklich. »Sie ahnen gar nicht, wie gut. Aber das wird es nicht. Weder auf diesem, noch auf irgendeinem anderen Weg. Das Einzige, was Sie mit diesen Maßnahmen erreichen, ist, sich selbst noch größeren Schaden zuzufügen. Akzeptieren Sie, was Sie sind, Emma.«
Großmaul , dachte er plötzlich. Noch vor einem halben Tag hättest du jeden verachtet, der dir gegenüber so gesprochen hätte.
Aber er hatte sich verändert. Seitdem war viel geschehen.
»Ich bin Ihnen sehr ähnlich, Emma«, fuhr er fort, langsam und mit sanfter Stimme. »Auch ich habe mich lange Zeit vor dem versteckt, was ich eigentlich bin. Und es hat mich krank gemacht. Aber jetzt nicht mehr. Ich habe gelernt, mich mit mir selbst abzufinden. Und ich bin gekommen, damit Sie nicht ähnliche Fehler begehen, wie ich sie fünfzehn Jahre lang begangen habe.«
Regungslos blickte Emma ihn an. William sah, wie es hinter ihren Augen arbeitete, und er hoffte, dass sie ihm glaubte. »Ich kenne Ihr Schiff«, sagte er leise. »Besser gesagt dessen Vorgänger, die STERNENFAUST II. Ich war jahrelang Teil der Besatzung, genau wie Sie es jetzt sind. Und ich verstehe, warum Sie dorthin zurückkehren möchten. Lassen Sie mich Ihnen dabei helfen.«
Langsam senkte die Pilotin ihre Waffe. William hörte, wie Frida Gudmundsdottir erleichtert ausatmete. »Und wie?«, fragte Emma weinerlich.
Der Mönch lächelte. »Sie haben nach jemandem verlangt, der das Tosen in Ihrem Kopf beendet«, sagte er fest. »Nun, hier bin ich.«
*
»Öffnen Sie Ihren Geist, Emma.« Williams Worte drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. Und die Hawaiianerin gehorchte ihnen. Sie wusste nicht, was sie tat und wie sie seinem Wunsch entsprechen konnte. Ihr Verstand war wie ein Schweizer Käse, voller Löcher und Lücken, wo eigentlich Informationen hätten sein sollen, und voller Erfahrungen, die nicht ihre eigenen waren. Sie handelte einfach instinktiv, ließ den Rest ihres Selbst, der noch in ihr verblieben war, die Oberhand gewinnen und gab sich – mehr erschöpft denn willentlich –
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