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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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    |9| Geschichte von der kleinen Geschichte
    Es war einmal ein Kind, das war nicht artig und wollte sein Essen nicht essen. Da stellte es die Mutter zur Strafe vor die
     Tür und fing an, drinnen den artigen Kindern eine kleine Geschichte zu erzählen.
    Als das unartige Kind merkte, drinnen erzählte die Mutter, brüllte es ein wenig leiser, denn es wollte horchen und hätte gerne
     zugehört. Da rief die Mutter: »Willst du jetzt artig sein und gut essen, Kind, so darfst du bei meiner kleinen Geschichte
     zuhören.«
    Doch der Bock stieß das Kind noch, und als es die Mutter rufen hörte, fing es gleich wieder an, lauter zu brüllen, so gerne
     es auch die kleine Geschichte gehört hätte. Da fuhr eine Maus aus ihrem Loch und fragte: »Was machst du denn für ein Geschrei,
     Kind? Meine jungen Mäuslein verschlucken sich ja vor Schreck beim Speckessen.«
    Das Kind antwortete und sprach: »Meine Mutter hat mich vor die Tür gestellt und will mich ihre kleine Geschichte nicht hören
     lassen. Darum, wenn du willst, daß deine Kinder in Ruhe Speck essen, schlüpfe durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und berichte
     mir, was für eine kleine Geschichte meine Geschwister hören.«
    Die Maus tat, wie das Kind gesagt hatte, fuhr durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und horchte. Die Mutter aber, die hörte,
     daß das Kind still geworden war, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«
    Das Kind dachte bei sich: Gleich kommt die Maus und erzählt mir die kleine Geschichte, da brauche ich auch nicht artig zu
     sein, und fing wieder an, lauter zu brüllen. Als das |10| Kind eine Weile gebrüllt hatte und die Maus noch immer nicht kam, dachte es: Es ist doch sonderbar, daß die Maus so lange
     ausbleibt, das muß ja eine ganz herrliche Geschichte sein, daß sie das Wiederkommen ganz vergißt. Ich will einmal die Fliege
     schicken, daß sie nach der Maus sieht.
    Das Kind rief also die Fliege an und sagte: »Liebes Fräulein Krabbelbein, ich habe die Maus ins Eßzimmer geschickt, daß sie
     auf die kleine Geschichte hört, die meine Mutter meinen Geschwistern erzählt. Aber die Maus kommt nicht wieder – willst du
     da nicht so freundlich sein und durchs Schlüsselloch kriechen und einmal nach dem Rechten sehen? Ich gebe dir auch morgen
     früh meinen Zucker, den ich zum Kakao bekomme.«
    Die Fliege war einverstanden, kroch durchs Schlüsselloch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte, das Kind brüllte nicht
     mehr, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«
    Das Kind dachte: Gleich kommen Maus und Fliege zurück und erzählen mir die kleine Geschichte, da brauche ich nicht artig zu
     sein! Und es schrie: »Nein, nein, ich will nicht essen!« und brüllte noch lauter.
    Als es aber eine Weile gebrüllt hatte, wunderte es sich, daß weder Maus noch Fliege wiederkamen, und dachte bei sich: Was
     muß das doch für eine wunderbare Geschichte sein! Mäuslein vergißt ihre Kinder, Krabbelbein denkt nicht an den Zucker – nein,
     jetzt mache ich nur noch einen Versuch, und wenn ich dann nichts erfahre, will ich gewiß artig sein und essen, damit ich nur
     die kleine Geschichte höre.
    Es rief also eine Ameise an, die grade auf der Diele kroch, und sagte: »Fräulein Schmachtleib, Sie sind so dünn, sicher können
     Sie unter der Tür durchkriechen. Tun Sie das doch und sehen Sie im Eßzimmer nach, was eigentlich Maus und Fliege machen, die
     ich geschickt habe, die kleine Geschichte zu hören, die meine Mutter meinen Geschwistern |11| erzählt. Kommen Sie aber bloß schnell wieder. Ich halte es vor lauter Neugierde schon nicht mehr aus.«
    Die Ameise sprach: »Den Gefallen will ich dir wohl tun«, kroch unter der Tür durch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte,
     das Kind brüllte nicht mehr, rief durch die Tür: »Komm bloß schnell, Kind, sei artig und iß. Es gibt jetzt etwas ganz Feines!«
    Das Kind aber dachte: Die Ameise wird mir jetzt Maus und Fliege schicken, da werde ich die kleine Geschichte schon zu hören
     bekommen. Und es schrie: »Ich will gar nichts essen – auch nichts Feines!«, trampelte mit den Füßen und brüllte noch lauter
     als vorher.
    Als es aber eine Weile laut gebrüllt hatte, brüllte es leiser. Einmal, weil ihm der Hals weh tat, dann aber, weil es dachte:
     Es muß eine zu schöne Geschichte sein. Die drei, Maus, Fliege und Ameise, hören zu und vergessen mich ganz. Ich will jetzt
     doch artig sein und essen. Und das Kind hörte

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