Sternenschweif 03 - Der steinerne Spiegel
noch nicht alles farbig ausgemalt war, musste sie selbst zugeben, dass sie wirklich gute Arbeit geleistet hatte. Sie hatte nicht nur die Flüsse und Täler eingezeichnet, sondern auch all die verschiedenen Bäume und Pflanzen, die sie in der Nacht gesehen hatte. „Ich habe sogar noch etwas mitgebracht“, sagte sieund holte die Blätter aus ihrer Schultasche. „Die können wir doch auf die Ränder unseres Posters kleben.“
„Wow!“ Mel riss erstaunt die Augen auf. „Wo hast du die denn her?“
„Ach ... von hier und da“, antwortete Laura ausweichend und lenkte rasch ab. „Was sagst du denn zu meiner Karte, Jessica?“ Fragend blickte sie ihre andere Freundin an.
Jessica hatte ihren Kopf gesenkt. Sie kaute an ihren Nägeln herum und schien Lauras Frage gar nicht gehört zu haben.
Mel wedelte mit der Karte vor ihrer Nase herum. „Hallo, Jessica. Wie findest du Lauras Karte?“
„Ja, ja – sie ist ganz toll“, murmelte Jessica, ohne sie sich überhaupt richtig anzusehen.
Laura runzelte die Stirn. „Stimmt was nicht?“, fragte sie ihre Freundin.
„Mir geht’s gut!“, zischte Jessica.
Laura und Mel schauten sich überrascht an. Es war sonst überhaupt nicht Jessicas Art, so ruppig zu sein.
Besorgt setzte Laura sich neben sie. „Willst du uns nicht sagen, was los ist?“
Jessicas Schultern sackten noch tiefer. „Es tut mir Leid. Es ist nur ... na ja, bei mir zu Hause ist momentan ziemlich miese Stimmung.“
„Nun erzähl schon“, forderte Mel sie auf.
„Sally kommt über die Ferien“, begann Jessica zögernd.
„Aber ich dachte, du magst Sally?“, sagte Laura verwundert.
Jessicas Mutter war gestorben, als sie nochganz klein war. Vor einiger Zeit hatte sich ihr Vater mit Sally verlobt und sie wollten heiraten.
Jessica seufzte. „Sally mag ich ja auch. Aber sie bringt ihre Tochter Samantha mit. Die hab ich bis jetzt nur ein paar Mal gesehen, weil sie meistens bei ihrem Vater war, wenn Sally uns besucht hat. Und nun soll Samantha aber nach der Hochzeit zu uns ziehen. Deshalb dachte Sally, es wäre eine gute Idee, wenn Samantha jetztein paar Tage mit uns verbringt.“ Jessica musste schlucken. „Mir graust richtig davor. Ich bin mir irgendwie ganz sicher, dass sie mich überhaupt nicht leiden kann. Sie war immer so komisch zu mir.“
Tröstend drückte Laura ihrer Freundin die Hand. „Jetzt komm, das bildest du dir bestimmt nur ein.“
Jessica starrte jedoch nur in ihr leeres Heft. Sie sah nicht sehr überzeugt aus.
Nichts konnte Jessica an diesem Nachmittag aufheitern. Sie freute sich nicht einmal, als Mr Noland ihr Poster vor der ganzen Klasse lobte.
Nach der letzten Stunde gingen Laura, Mel und Jessica gemeinsam zum Schultor.
„Ich fahre heute mit meinen Eltern über die Ferien zu meinem Onkel Paul und zu TanteBarbara“, erzählte Mel ihnen. „Und was ist mit Silver?“, fragte Laura. „Wer wird sich denn dann um dein Pony kümmern?“
„Das macht Brad“, erwiderte Mel. Brad arbeitete auf dem Hof ihrer Eltern. „Natürlich werde ich Silver furchtbar vermissen, aber ich freue mich auch schon sehr auf meine Tante und meinen Onkel. Die sind nämlich unheimlich nett. Wir werden bestimmt jede Menge Spaß haben. Ich erzähl’s euch dann, wenn ich zurück bin.“ Sie winkte ihren Freundinnen noch einmal zu, bevor sie zu ihren Eltern lief, die bereits am Schultor auf sie warteten.
„Wow! Das klingt ja gut!“ Laura drehte sich zu Jessica um. Aber ihre Freundin hatte gar nicht zugehört. Sie starrte stumm geradeaus. Laura folgte ihrem Blick. Jessicas Vater wartete mitSally vor dem Schultor. Neben ihnen stand ein schlankes Mädchen, das etwa elf Jahre alt sein mochte. Es hatte glattes, dunkelbraunes Haar und sah ziemlich mürrisch aus.
Einen Moment lang fürchtete Laura, dass Jessica sich umdrehen und wieder in die Schule zurücklaufen würde. Doch da rief Mr Parker: „Jessica, hier sind wir!“
Jessica blieb nichts anderes übrig, als auf die drei zuzugehen. Laura folgte ihr langsam.
„Hallo, ihr zwei“, begrüßte Sally die beiden Mädchen. „Wie war’s in der Schule?“
„Ganz gut, danke“, antwortete Laura. Jessica nickte nur stumm. Neugierig sah Laura Samantha an. Das ältere Mädchen scharrte gelangweilt mit ihren Turnschuhen auf dem Boden herum. Es war nicht möglich zu erkennen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Nicht ein einziges Mal schaute sie Jessica an.
„Nun ja“, sagte Mr Parker, als die Stille zu ungemütlich wurde. „Ich glaube, wir sollten
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