Sternhagelverliebt
Uhr.
Scheiße, Scheiße, Scheiße.
9 : 01 Uhr.
Atmen. Nein, kann nicht atmen.
9 : 02 Uhr.
Oh, Gott sei Dank.
Ich werfe dem Taxifahrer das Geld zu und sprinte durch den dichten Verkehr während der allmorgendlichen Rushhour über die Straße. Autos bremsen mit quietschenden Reifen ab, Hupen dröhnen, doch irgendwie schaffe ich es lebendig auf die andere Seite. In der ganz in Glas und Marmor gehaltenen Lobby des Bürogebäudes fällt mir plötzlich auf, dass ich gar nicht mehr weiß, in welche Etage ich muss. Ich warte von 9 : 03 Uhr bis 9 : 04 Uhr an der Information, bis ich an der Reihe bin. Stockwerk 29 , danke! Der Lift kommt um 9 : 05 Uhr; von 9 : 06 Uhr bis 9 : 07 Uhr halten wir in scheinbar jedem Stockwerk zwischen der Lobby und dem 29 . Stock an.
Schließlich haste ich aus dem Lift, stoße die Glastür zu den Redaktionsbüros von
The Line
auf und bemühe mich, möglichst ruhig zum Empfangstresen zu gehen. Dort sitzt ein Mädchen mit stachelig gestylten roten Haaren und einem Nasenring. Es kann nicht älter als 19 sein.
»Bist du Kate?«
»Ja.«
»Oh, gut. Endlich bist du da.«
Erst jetzt fällt mir die Uhr an der Wand hinter ihr auf.
9 : 15 Uhr.
Ich bin am Arsch.
»Ich habe im Stau gesteckt«, erwidere ich schwach. Sogar in meinen Ohren klingt es, als würde ich sagen: »Mein Hund hat die Hausaufgaben gefressen.«
»Ja, der Verkehr
kann
um diese Zeit echt schlimm sein.«
»Ja.«
»Sie warten im ›Nashville Skyline‹-Zimmer auf dich. Es ist am Ende des Flures.«
»Danke.«
Ich gehe einen langen Korridor entlang, der mit vergrößerten und gerahmten Coverabbildungen von
The Line
dekoriert ist. Ich komme an einer Reihe von Konferenzräumen vorbei. »Abbey Road«. »Pet Sounds«. »Nevermind«. »Nashville Skyline«.
Okay. Auf geht’s.
Schnell prüfe ich noch mein Spiegelbild in dem Glas, das ein berühmtes Bild von Dylan umrahmt, auf dem er seine Gitarre an die Brust drückt und in die Kamera lächelt. Gut, denke ich, nicht ganz der Eindruck, den ich machen wollte, aber so schlimm sehe ich bestimmt nicht aus.
Ich klopfe an.
»Herein.«
Noch einmal hole ich tief Luft und gehe hinein. Sechs Männer und Frauen sitzen am Ende eines langen Tisches. Ein weiteres überdimensionales Foto von Dylan, der mit Joan Baez am Mikrofon steht und singt, beherrscht die Wand hinter ihnen.
Ich lächele nervös. »Hi, ich bin Kate Sandford. Es tut mir leid, dass ich zu spät bin.«
Eine kleine Frau Anfang 20 mit kurzem, mausbraunem Haar erhebt sich, um mich zu begrüßen. Sie trägt ein enges schwarzes Jerseykleid, das ihre üppigen Kurven unterstreicht.
»Hi, Kate. Ich bin Elizabeth? Wir haben telefoniert? Warum setzt du dich nicht?«
Ich nehme am anderen Ende des Tisches Platz und betrachte die Gruppe. Irgendwie habe ich Probleme damit, ihre Gesichter deutlich zu erkennen.
»Danke noch mal, dass ihr mich eingeladen habt. Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Der Verkehr.«
»Wir verstehen? Das hier sind Kevin, Bob, Cora, Elliott und Laetitia? Alles klar? Großartig? Lass uns beginnen?«
»Sicher.«
»Kate, wir haben deine Artikel gelesen, und sie gefallen uns wirklich sehr«, sagt ein Mann Anfang 30 , der, glaube ich, Bob heißt. Vielleicht ist es auch Elliott.
»Danke, Bob.«
»Ich heiße Kevin.«
»Tut mir leid.«
»Kein Problem. Warum möchtest du bei
The Line
arbeiten?«
Ich räuspere mich. »Tja, also, es war immer ein Traum von mir. Und ist es natürlich noch. Wie dem auch sei … Ich liebe Musik und lese schon seit Ewigkeiten
The Line,
und … ich weiß nicht, glaubt ihr an Seelenverwandtschaft? Also, ich habe immer gedacht, dass dieses Magazin sozusagen mein journalistischer Seelenverwandter ist.«
Mein Herz schlägt wie verrückt. Was zur Hölle ist bloß los mit mir? Seelenverwandtschaft? Habe ich gerade tatsächlich in einem Vorstellungsgespräch das Wort »Seelenverwandtschaft« gebraucht?
Nervös mustere ich die Gesichter. Cora (oder ist es Laetitia?) sieht so aus, als müsse sie sich ein Lachen verkneifen.
»Was, meinst du, kannst du in das Magazin einbringen? Was hast du, das dich von allen anderen da draußen unterscheidet?« Elizabeths trällernde Stimme bringt die Übelkeit zurück, die ich im Taxi erfolgreich unterdrückt habe.
Und jetzt noch einmal. Mit Gefühl.
»Also … Ich habe diese echte, diese pure Liebe zur Musik, wisst ihr? Wie ich schon in meiner Bewerbung geschrieben habe? Es ist mir schwergefallen, meine musikalischen Einflüsse
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