Sternhagelverliebt

Verstand verliere!
    Als ich vor lauter Grübeln kurz vorm Durchdrehen bin, versuche ich es mit Ablenkung. Ich putze unsere winzige Wohnung. Ich erfinde drei neue Instantnudelsuppen-Rezepte. Ich gehe zu Konzerten einiger Bands und schreibe Reviews für die Lokalblätter, für die ich als freie Musikjournalistin arbeite. Ich räume meinen Schrank aus, sortiere meine gesamte Post und erledige Telefonanrufe, die ich schon seit Monaten vor mir herschiebe. Ich schreibe sogar einen Brief an meine 90 -jährige Oma und bedanke mich darin für den Scheck, den sie mir zum Geburtstag meiner Schwester geschickt hat.
    Die restliche Zeit verbringe ich damit, einerseits wie besessen die Website von
The Line
zu studieren (inklusive aller Artikel aus den vergangenen sechs Jahren, die ich bereits unzählige Male gelesen habe) und andererseits zu verfolgen, wie in sämtlichen Klatschmagazinen das Leben eines jungen Starlets gnadenlos auseinandergenommen wird.
    Amber Sheppard, besser bekannt als
Das Mädchen von nebenan
(oder kurz DM V N ) – benannt nach der Figur, die sie als Teenager in einer Sitcom spielte, die, Überraschung,
Das Mädchen von nebenan
hieß –, ist zurzeit Hollywoods angesagtestes It-Girl. Nachdem die Show abgesetzt worden war, spielte sie in zwei erfolgreichen Teenie-Horrorstreifen mit, gefolgt von einer ernstzunehmenden Verkörperung der Catherine Morland in dem Film
Northanger Abbey,
die ihr eine Oscar-Nominierung einbrachte. Kurz nach ihrem 23 . Geburtstag verkündete sie, dass sie eine wohlverdiente Auszeit von nicht genannter Länge nehmen würde, um sich zu entspannen und Kraft zu sammeln.
    Von da an ging’s bergab.
    Jeder Mensch, der ernsthaft nach Entspannung sucht, würde sich eine Hütte im Wald mieten und sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Nicht DM V N . Sie feierte jede Nacht, schlief den ganzen Tag über und verlor von einem Foto zum nächsten zehn Kilos. Zuverlässige Quellen wie
people.com,
TMZ
und Perez Hilton verbreiteten Gerüchte, dass sie ein ernsthaftes Drogenproblem hätte.
The Enquirer
berichtete, dass ihre Familie eingegriffen und sie in eine Entzugsklinik gebracht hätte. Inzwischen scheint es so, als würde es jeden Tag und zu jedem ihrer Schritte eine neue Geschichte geben, ein neues ungeheuerliches Bild, eine neue Website. Und ich lese alles.
    Das ist die Nahrung, die mein untätiges Gehirn davon abhält, vollkommen durchzudrehen, während ich warte und warte.
    Am Tag vor meinem Geburtstag, um 8 : 55  Uhr, kommt endlich der erlösende Anruf von
The Line.
    Ich bin ohnehin kein Morgenmensch, doch an diesem Morgen wird meine Müdigkeit noch dadurch verstärkt, dass ich in der vergangenen Nacht eine weitere von Joannes Geldanlage-Weinflaschen geleert und dazu stundenlang wie gebannt die Fernsehübertragung zu DM VNs Flucht aus der Entzugsklinik verfolgt habe (
The Enquirer
hatte also recht).
    DM V N hatte es ganze zwei Tage in der Klinik ausgehalten, ehe sie gestern in ihrem weißen Geländewagen die Flucht ergriff. Die Paparazzi, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen, nahmen ihre Flucht aus allen Perspektiven auf. Genau wie damals bei O.J. (natürlich ohne diese ganze Sache mit dem Mord an der Ex-Frau), und die Aufnahmen liefen in Endlosschleife auf
CNN
und anderen Kanälen.
    Erst gegen drei Uhr morgens hatte ich genug davon.
    Gefühlte Sekunden später reißt mich das Schrillen des Telefons aus einer Tiefschlafphase.
    »Mmmph?«
    »Spreche ich mit Kate Sandford?«
    »Mmm.«
    »Hier ist Elizabeth von
The Line?
Wir würden gern einen Termin für ein Vorstellungsgespräch mit dir vereinbaren?« Ihre Stimme hebt sich am Ende jedes Satzes, so dass sich alles wie eine Frage anhört.
    Mit einem Mal sitze ich kerzengerade im Bett, und mein Herz schlägt mir bis an den Hals hinauf. »Echt?«
    »Hättest du morgen früh um neun Uhr Zeit?«
    Morgen. Mein Geburtstag. Auf jeden Fall habe ich Zeit.
    »Ja. Ja, ich hab Zeit.«
    »Großartig. Dann komm um neun in unser Büro und frag nach mir? Elizabeth?«
    »Das ist toll. Perfekt. Wir sehen uns dann.«
    Ich schlage die Bettdecke zurück, springe auf und gebe wieder meinen Freudentanz zum Besten.
    Das ist das großartigste Geburtstagsgeschenk aller Zeiten! Ich werde es schaffen! Nachdem ich jahrelang für jeden schreiben musste, der mich wollte, werde ich endlich für ein echtes Magazin arbeiten! Für
das
Magazin! Ja, ja, ja!
    »Katie, was zur Hölle machst du da?« Joanne steht in der Tür und wirkt echt sauer. Ihr lockiges, orangerotes